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Zwischen Bildschirm und Bewusstsein

Zwischen Bildschirm und Bewusstsein –Hypnose, Therapie und Coaching im digitalen Raum oder wie man mit Leichtigkeit online wirksamer wird

von Ina Hullmann, 29.05.2025

Im digitalen Raum coachen oder therapieren

Online geht nicht nur Shopping, online geht auch Hypnose, Psychotherapie und Coaching. Und das funktioniert sogar ziemlich gut. Denn seit der Pandemie hat sich gezeigt, was zunächst als Notlösung galt, ist längst ein selbstverständlicher Teil unserer Praxis geworden. Menschen treffen sich über Zoom und Co, lassen sich in Trance begleiten oder klären im digitalen Raum Lebensthemen. Doch wie wirksam ist das wirklich? Und worauf kommt es an, damit die Verbindung über den Bildschirm nicht nur technisch, sondern auch therapeutisch funktioniert? Ein Blick in die Forschung gibt Aufschluss – und macht Mut.

Online-Coaching: Fast wie offline, nur flexibler?

Eine aktuelle Studie von Michalik & Schermuly (2024) untersuchte die Nebenwirkungen und den Erfolg verschiedener Coaching-Formate: Face-to-Face, Blended (also gemischt) und komplett online. Die Ergebnisse zeigen: Die wahrgenommene Wirksamkeit unterscheidet sich nicht signifikant zwischen den Formaten. Interessanterweise traten im Blended Coaching die meisten Nebenwirkungen auf, möglicherweise aufgrund des ständigen Wechsels zwischen analog und digital, der eher verwirrt als verbindet.

Auch Doolittle (2022) betont, dass virtuelles Coaching nicht nur unvermeidlich, sondern auch effektiv ist. Er hebt hervor, dass Online-Coaching durch erhöhte Zugänglichkeit, Zeitersparnis und Flexibilität sowohl für Coaches als auch für Klient*innen Vorteile bietet. Wichtig ist jedoch, dass Coaches über die notwendigen Kompetenzen verfügen, um virtuelle Technologien effektiv einzusetzen.

Und auch international wird der Trend bestätigt: Eine großangelegte Meta-Analyse aus The Lancet ergab, dass internetbasierte kognitive Verhaltenstherapie (iCBT) bei Depressionen und Angststörungen genauso effektiv ist wie Face-to-Face-Therapie – solange Struktur und therapeutische Begleitung stimmen. Wer professionell online arbeitet, erreicht Klient*innen also genauso tief – nur vielleicht bequemer, ohne Anfahrtsstress und mit Kaffee aus der eigenen Küche.

Online-Hypnose: Trance durch den Bildschirm? Ja, bitte!

Hypnose lebt von Sprache, Fokus und Vertrauen – Elemente, die auch über Videoübertragungen wirksam sein können. Eine Studie von Hasan & Vasant (2023) zeigt, dass über die Hälfte der befragten Therapeutinnen Online-Hypnotherapie als ebenso effektiv wie Face-to-Face-Therapie einschätzen.

Besonders Videokonferenzen ermöglichen es Klientinnen, sich in ihrer gewohnten Umgebung zu entspannen und tiefer in Trancezustände einzutauchen.

Online-Sitzungen bequem von zu Hause wirken lassen

Diese Erkenntnisse decken sich mit meinen eigenen Erfahrungen aus über 30 Jahren Praxis – davon 25 Jahre im klassischen Setting und seit der Corona-Pandemie rund 75 % im Online-Format. Ich habe festgestellt, dass Online-Hypnosen und Online-Coaching keineswegs Nachteile mit sich bringen – im Gegenteil: Viele Klientinnen empfinden es als wohltuend, ohne Anfahrtsstress bequem von zu Hause aus teilzunehmen. Auch organisatorisch ergeben sich Vorteile, da ich Sitzungen flexibler gestalten und internationale Klientinnen begleiten kann.

Darüber hinaus bietet das Online-Setting neue Möglichkeiten für hypnotherapeutisches Arbeiten: So lässt sich z. B. ein imaginierter „Safe Place“ unmittelbar mit dem realen Lieblingssessel im Wohnzimmer verankern – ein Transfer, der im klassischen Setting imaginativ hergestellt werden muss.

Die Perspektive der ISH: Online-Hypnose mit Struktur und Feingefühl

Die International Society of Hypnosis (ISH) veröffentlichte einen Erfahrungsbericht von Ziss & Bányai (2020), der zeigt, wie gut Online-Hypnose funktioniert – wenn man sie gut vorbereitet:

  1. Die therapeutische Beziehung kann auch über den Bildschirm entstehen.
  2. In der eigenen Umgebung übernehmen Klient*innen mehr Verantwortung.
  3. Trance funktioniert, wenn Rahmen, Technik und Beziehung stimmen.
  4. Augenkontakt und Körpersprache müssen bewusst inszeniert werden.

Fallbeispiel: Anna, 38, mitten im Sturm Anna ist Teamleiterin in einem Medienunternehmen und liebt ihren Beruf – aber seit Monaten steht sie unter Strom. Schlaflosigkeit, innere Unruhe, das Gefühl, nie abzuschalten. In der Praxis hat sie keine Termine mehr bekommen. Auf Empfehlung bucht sie ein Online-Coaching mit Hypnose.

Zu Beginn skeptisch („Ob das wirklich geht, so über Kamera?“), erlebt sie nach der ersten Sitzung etwas Unerwartetes: In ihrer eigenen Wohnung, auf dem Sofa, gelingt es ihr erstmals seit Wochen, in eine tiefe Entspannung zu sinken. Der Coach begleitet sie mit ruhiger Stimme durch eine Imaginationsreise an einen inneren Kraftort. Nach der dritten Sitzung berichtet sie: „Ich bin gelassener geworden. Und ich wusste gar nicht, dass ich das kann.“

Anna ist kein Einzelfall. Immer mehr Klient*innen entdecken, dass das Online-Setting nicht nur bequem, sondern auch tiefwirksam sein kann – wenn die Beziehung stimmt und der Rahmen getragen wird.

Mit Leichtigkeit wirksamer werden Vielleicht ist das größte Missverständnis im digitalen Raum, dass er kühler oder technischer sei. Tatsächlich bietet das Online-Setting sogar einen Rahmen für mehr Leichtigkeit: Klientinnen sind in ihrer gewohnten Umgebung, es entfällt der Anfahrtsstress, und viele Menschen sind entspannter, wenn sie „zuhause“ bleiben dürfen. Wer als Coach oder Therapeutin lernt, diese Leichtigkeit nicht nur zuzulassen, sondern aktiv zu nutzen – durch Sprache, Haltung und Struktur – wird auch online wirksamer. Weniger Druck, mehr Flow. Weniger Perfektion, mehr Kontakt. Und manchmal auch mehr Humor.

Das Ampelmodell nach Hullmann: Innere Zustände regulieren

Ein zentrales Instrument, um in diese Leichtigkeit zu finden, ist das von Hullmann entwickelte Ampelmodell der Bewusstseinszustände. Es unterscheidet zwischen drei inneren Modi:

  • Rot: Aktivierter Stressmodus – der Klient (oder Coach) ist angespannt, Wahrnehmung ist verengt, im Kampf-, Fluchtmodus oder der inneren Starre.
  • Gelb: Beobachtermodus – ruhig, gelassen, reflektiert, kognitiv, strukturiert, Innere Beobachterposition.
  • Grün: Leichtigkeit und Ressourcenmodus – gelassen, offen, kreativ, intuitiv, freudig, ganzheitlich, verbunden mit dem Ozean an Möglichkeiten.

Ziel ist es, bewusst in den grünen Modus wechseln zu lernen, also in einen inneren Zustand, der auf natürliche Weise eine innere Haltung von Leichtigkeit und Ressourcierung ermöglicht. Dies kann man mit einem entsprechenden Übungsprogramm trainieren, unter anderem durch eine bewusste Atmung, das Erlernen des mentalen Umschaltens, sowie körperbezogene Selbstregulation.

Besonders im Online-Setting zeigt sich: Wenn der Coach im Grünen Modus ist, überträgt sich dieser Zustand nonverbal auf den Klienten. Online funktioniert Resonanz anders, aber nicht schlechter. Wer selbst in der Leichtigkeit ist, kann das Gegenüber in die Leichtigkeit einladen und gleichzeitig Schweres leichter transformieren.

Aktuelle Marktentwicklung: Online-Coaching etabliert sich

Die RAUEN Coaching-Marktanalyse 2022 zeigt deutlich: Online-Coaching hat sich als fester Bestandteil im Coaching-Markt etabliert. Während es vor der Pandemie nur einen Anteil von 7,7 % hatte, stieg dieser während der Pandemie erheblich an. Nach dem Wegfall pandemiebedingter Einschränkungen ist das Präsenz-Coaching zwar wieder auf Platz eins, doch Online-Coaching bleibt mit einem stabilen zweiten Platz ein bedeutendes Format. Die Vorteile wie räumliche und zeitliche Flexibilität werden sowohl von Coaches als auch Klient*innen geschätzt. Zukünftig wird erwartet, dass Hybrid-Formate, bestehend aus Präsenz- und Online-Sessions, noch stärker zum Einsatz kommen werden.

Chancen digitaler Formate: Was geht alles online?

  • Zeit- und ortsunabhängige Termine (auch „unter Palmen“ möglich)
  • Kein Pendelstress, kein Parkplatzproblem
  • Einfachere Einstiegsgespräche für skeptische Neulinge
  • Möglichkeit zur Begleitung mit Aufzeichnung oder Dokumentation

Grenzen & Herausforderungen: Nicht alles läuft wie von selbst

  • Technikprobleme können stören – Backup-Plan ist Pflicht
  • Intervention werden online anders angeleitet
  • Therapeut*innen brauchen mehr sprachliche und mimische Präzision
  • Datenschutz muss geklärt sein (Zoom beispielsweise ist nur mit entsprechenden Einstellungen sicher)

Fazit: Online ist kein Kompromiss – sondern eine Chance

Online-Hypnose und Online-Coaching funktionieren. Nicht als Ersatz für „echte“ Begegnung, sondern als echter Zugang zu Menschen – auf ihre Weise, in ihrer Welt, in ihrem Tempo. Mit einem guten Setup, einer klaren Haltung und einem Schuss Humor wird auch die Webcam zur Brücke. Und mit Leichtigkeit wird vieles sogar noch wirksamer.

Quellen:

  1. Doolittle, Jeffery S.: Virtual Coaching is Inevitable and Effective. In: Regent Research
    Roundtables Proceedings, 2022, S. 24–31. Virginia Beach: Regent University School of Business & Leadership. Online verfügbar unter: https://www.regent.edu/wpcontent/uploads/2022/10/Regent-Research-Roundtables-2022-Professional-Coaching-
    Doolittle.pdfRegent University+4Regent University+4Regent University+4
  2. Hasan, Syed Shariq / Vasant, Dipesh: The Emerging New Reality of Hypnosis Teletherapy: A Major New Mode of Delivery of Hypnotherapy and Clinical Hypnosis Training. In: International Journal of Clinical and Experimental Hypnosis, 2023, Jg. 71, Nr. 2, S. 153–164.
  3. Hullmann, Ina: Hypnosystemische Top-10-Tools – Mit Leichtigkeit wirksam werden in Therapie und Coaching. Stuttgart: Schattauer, 2023. ISBN: 978-3-608-40163-9. Verfügbar unter: https://www.klett-Cotta.de/produkt/ina-hullmann-hypnosystemischetop-10-tools-9783608401639-t-8397Schulthess+5Klett-Cotta+5socialnet+5
  4. Michalik, Natalie M. / Schermuly, Carsten C.: Online, offline, or both? The importance
    of coaching format for side effects in business coaching. In: Journal of Managerial
    Psychology, 2023. DOI: 10.1108/JMP-01-2023-0068ResearchGate+5SRH
    Hochschule+5ResearchGate+5
  5. Rauen, Christopher / Ebermann, David: RAUEN Coaching-Marktanalyse 2022.
    Osnabrück: RAUEN Group, 2022. Online verfügbar
    unter: ttps://www.rauen.de/_res/af9770ac263e7e36f22e1655751503b8ab14c494/RA
    UEN%20Coaching-Marktanalyse%202022-05-31%20-%20Full%20Version.pdf
  6. The Lancet Digital Health: Internet-delivered cognitive behavioural therapy programme to improve depression in people with multiple sclerosis: a randomised, controlled, multicentre trial. In: The Lancet Digital Health, 2023, Jg. 5, Nr. 6, S. e323–e334. DOI: 10.1016/S2589-7500(23)00109-7The Lancet
  7. Ziss, Mariann / Bányai, Éva I.: Online Hypnotherapy during COVID-19. In: Newsletter der International Society of Hypnosis (ISH), Juni 2020, S. 10–12. Online verfügbar
    unter: https://www.ishhypnosis.org/wp-content/uploads/2020/06/ISH-202006-
    final.pdfishhypnosis.org
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