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Kein Problemlöser – sondern Moderator von Entwicklung!

Systemisch-lösungsorientierte Therapie und Beratung steht in der Tradition der Humanistischen Psychologie, die jeden Menschen als einzigartig ansieht, ihn in seiner leiblichen Existenz ernst nimmt und als geistig mit guten Gaben ausgestatteten Gestalter seiner Möglichkeiten versteht. Es werden Individualität, freies und unabhängiges Denken betont, und der Mensch wird in seinem Sosein erfasst mit der Aufgabe, sich voll zu entfalten (vgl. Fromm 2009, S. 34f).

Das Gute im Menschen, der Wunsch nach Veränderung und Wachstum, sind wichtige Aspekte, die es im Menschenbild der Humanistischen Psychologie zu beachten gilt. Wahl und Entscheidung finden sich als Möglichkeit oder gar als Notwendigkeit. Aus Wahl und Entscheidung erfolgt Verantwortlichkeit gegenüber sich selbst und den Mitmenschen (vgl. Quitmann 1998, S. 86ff).

Im „Konzept der Kundigkeit“ führt Hargens zur Haltung der Berater / Therapeuten im systemisch-lösungsorientierten Konzept Folgendes aus: Gehen wir vom Modell des Konstruktivismus aus, bleiben alle Menschen verantwortliche Konstrukteur:innen ihrer jeweiligen Wirklichkeiten. Demgemäss hat also niemand – auch Beratende / Therapeuten nicht – einen privilegierten Zugang zu einer Wirklichkeit da draussen, was zur Folge hat, dass alle Aussagen darüber, wie „Wirklichkeit“ ist oder sein soll, persönliche und subjektive Festlegungen sind, die in einem sozialen Kontext kollektiv und konsensuell abgestimmt werden und wurden.

Auf Grund dieser Sichtweise geht es nicht um bessere oder schlechtere Wirklichkeitskonstruktionen, sondern darum, neugierig andere Konstruktionen zu betrachten resp. zu erfragen, weil ein:e Berater:in / Therapeut:in hier auf Ressourcen und Kompetenzen seines Gegenübers stösst. Dies wiederum bedeutet nicht, dass er nicht seine Bewertungen machen darf oder alle Konstruktionen seiner Kund:innen für wünschenswert halten muss. Wichtig bleibt, nicht die eigenen Bevorzugungen zum Massstab aller Dinge zu machen (vgl. Hargens 1993, S. 16).

In der Auseinandersetzung mit „Kundigkeit und kybernetische Metapher“ geht es darum, sich zu fragen, wer in einem Beratungssystem den Soll-Wert festlegt. In den Ausführungen zur Kybernetik 2. Ordnung wurde bereits dargestellt, dass unter systemischen Gesichtspunkten ein Regler nur im Kontext des gesamten Regelungsmechanismus gesehen werden kann. Wenn der Regler als Teil des gesamten kybernetischen Regelungssystems betrachtet wird, kann nicht beantwortet werden, wie ein Einzelteil ein System als Ganzes bestimmt (z.B. Bateson, 1981). „Es lässt sich kein Regler ausmachen, der allein verantwortlich sichert, dass die Regelung erfolgt. ‚Regler’ wurde somit zu einer Beschreibung eines kontinuierlichen Prozesses, bei dem sich verschiedene Teile wechselseitig beeinflussen, um so als ‚ganze Einheit’ das hervor zu bringen, was als Regelungsmechanismus beschreibbar wird“ (Hargens, 1993, S. 17).

Regelung wird somit zu einem gemeinsamen Unternehmen. Übertragen auf das Beratungssystem, auf eine systemisch-lösungsorientierte Therapie, bedeutet dies, dass die Klärung der Frage, was gut, richtig, zieldienlich ist, ein gemeinsamer, wechselseitiger Prozess ist, und alle Beteiligten ihre spezifischen Möglichkeiten in diesen Prozess einbringen.

Zu Ressourcen und Kundigkeit sagt Hargens: „Geraten die Ressourcen der Kund:innen in den Blick, dann wird es auch immer leichter und selbstverständlicher, auf die dahinter liegenden Kräfte zu vertrauen und die Kund:innen ihre eigenen Lösungen finden zu lassen“ (1995, S. 33).

Systemisch-lösungsorientierte Berater:innen gehen von der Kundigkeit ihres Gegenübers aus, wobei sich die Kundigkeit sowohl auf deren Kompetenz und Kundigkeit für ihre Probleme und Fragen als auch für die Lösungen bezieht. Ebenfalls wird die Definition des Arbeitsauftrages wie auch die Idee der Auf-Lösung des Beratungssystems durch die Therapeuten definiert. Hargens (vgl. 1995, S. 36) prägt den Begriff „unerschrockenes Respektieren“ , den er als eine Haltung versteht, die vom Respekt den Kund:innen gegenüber getragen wird, uns zugleich aber ermutigt, jede denkbare Frage als möglich zuzulassen.

In logischer Konsequenz resultiert aus der geschilderten Ressourcenorientierung ein neues Selbstverständnis der Therapeuten / Berater. „Er/sie sieht sich nicht mehr in der Rolle des Problemlösers, sondern als ‚Moderator von Entwicklung’, als ‚Agent der Veränderung’ (Hermer, 1996), als ‚Mitgestalter sinnvoller Alternativen zum Problemverhalten’ (Ludewig, 1995), als ‚Supervisor für die Interaktion mit der Aussenwelt’ (Schmidt, 1992), […] als ‚Katalysator eines Selbstorganisationsprozesses’ (Schiepek, 1999)“ (zit. in Bamberger 2005, S. 38).

Hargens bezeichnet als Leitlinien der Beratungsarbeit nach diesem Verfahren „kooperieren, reflektieren, öffentlich machen und den Meta-Dialog“ (vgl. 1995, S. 33ff).

Fragen
Bamberger (vgl. 2005, S. 48) beschreibt den gesamten systemisch-lösungsorientierten Beratungsprozess, resp. die Beratungstechnik, als eine systematisch aufeinander aufbauende Abfolge von lösungsorientierten Fragen, welche die Klient:innen einerseits zu einem Suchprozess einladen und andererseits auch lösungskompetentes Selbstbewusstsein induzieren. De Shazer (vgl. 1999, S. 74) hat es als den Job von Therapeuten / Beratenden bezeichnet, unterschiedliche Fragen zu stellen.

Im systemisch-lösungsorientierten Verfahren ist ein breites Interventionsinventar anzutreffen. So gibt es Fragen nach Veränderungszielen, wobei die „Wunderfrage“ nur eine der Möglichkeiten für die Arbeit an Zielen darstellt. Ausserdem werden Fragen nach Ausnahmen sowie Skalierungs- und Copingfragen usw. eingesetzt. Allen Fragen ist nach Bamberger (vgl. 2005, S. 41) gemeinsam, dass sie Einladungen zu lösungsorientierten Aufmerksamkeitsfokussierungen darstellen.

Hargens (2004, S. 73) übersetzt, was de Shazer (1992, S. 45) formuliert hat: „Jede Familie (ebenso wie jedes Individuum und jedes Paar) versucht auf einzigartige Weise zu kooperieren. Die Arbeit der Therapeuten besteht darin, jene spezielle Art des Kooperierens, die die Familie zeigt, aus seiner Sicht zu beschreiben und dann damit zu kooperieren, um Veränderungen zuwege zu bringen“. KlientInnen, die sich in ihren Anliegen verstanden fühlen, sich als Person wertgeschätzt erleben, werden sich reaktiv wertschätzend auf eine Beziehung mit dem Beratenden einlassen können und engagiert zusammen arbeiten (vgl. Bamberger 2005, S. 58).

Kooperation erfordert eine kontinuierliche Abstimmung des Beratungssystems und eine permanente Rückkopplung. Je besser dies gelingt, umso effektiver und effizienter wird der Lösungsprozess verlaufen (vgl. Bamberger 2005, S. 47). Hargens weist darauf hin, dass es stets darum geht, einen Rahmen zu schaffen, in dem Kooperieren überhaupt möglich wird. Das bedeutet, die Kundinnen zu respektieren, einen Kontext des Kooperierens zu schaffen, z.B. den Auftrag und die Ziele zu klären, und das Setting auszuhandeln. Weiter geht es darum, grundlegende Regeln zu vereinbaren und sich um das Wohlbefinden zu kümmern, das Wohlbefinden der Kund:innen, aber auch der Beratenden (vgl. Hargens 2004, S. 38 ff).

Reflektieren
„Reflektieren ist der Begriff, der im Moment am besten zu unseren Ideen von Narrativen, Geschichten und Weltanschauungen passt“ (Hargens, 2004, S. 50). In Beratungsprozessen kann es laut Hargens nützlich und zieldienlich sein, mit unterschiedlichen Positionen zu „spielen“, weil unterschiedliche Positionen unterschiedliche Perspektiven ermöglichen. Coaching, Therapie, Beratung könnten demnach auch beschrieben werden als eine Möglichkeit, Wege zu finden, unsere Positionen zu verändern und aus den jeweiligen, unterschiedlichen Positionen zu reflektieren. Beratungsangebote hätten dann damit zu tun, mehr Geschichten hervor zu bringen, über alternative Geschichten nachzudenken und würden von Foersters Imperativ folgen „Handle stets so, dass die Anzahl der Wahlmöglichkeiten grösser wird“ (von Foerster, 1985, S. 41).

Kund:innen können eingeladen werden, zusammen mit den Berater:innen zu reflektieren, oder es kann mit zirkulären Fragen auch über abwesende Personen reflektiert werden. Als Meta-Dialog wird das Reflektieren von zwei Berater:innen bezeichnet, die sich zusammen über das Gehörte austauschen, während die Kund:innen zuhören (Hargens 2004, S. 53).

Andersen (vgl. 1994, S. 43 ff) hat beschrieben, was innerlich und äusserlich bei Menschen abläuft, wenn sie sich treffen und hat dafür den Begriff „innerer und äusserer Dialog“ verwendet. In jedem Beratungsformat wird ein innerer Dialog mit sich selber und ein äusserer Dialog zwischen den Beratenden und den Beratenen geführt. Dieses Vorgehen wird in dieser Methode genutzt, um einerseits ein Bild zu bekommen, was sich in der beratenden Person abspielt, andererseits dieses „Bild“ den Klient:innen gegenüber auch zu veröffentlichen.

Diese Handlung – das Öffentlich-Machen – kann als Einladung an Klient:innen betrachtet werden, sich mit Gedanken und Überlegungen des Beratenden auseinander zu setzen.

Empfehlen
Ein Therapie-Gespräch wird mit einer Empfehlung abgeschlossen. Diese soll entweder dazu dienen, die Klient:innen einzuladen, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen, und all das, was sie bereits in Richtung Ziel tun, weiterhin zu machen. Oder aber etwas ganz Anderes zu tun, weil die bisherigen Aktionen sich als nicht zieldienlich erwiesen haben.

Ursula Fuchs, Leiterin wilob AG

Literatur

  • Bamberger, G.G. (2005). Lösungsorientierte Beratung. 3.Auflage, Weinheim und Basel: Beltz.
  • De Shazer, S. (1995). Der Dreh. Überraschende Wendungen und Lösungen in der Kurzzeit-therapie. 4. Auflage, Heidelberg: Carl-Auer.
  • De Shazer, S. (1999). Wege der erfolgreichen Kurztherapie. 7. Auflage, Stuttgart: Klett-Cotta.
  • Erikson, E. H. (1971). Einsicht und Verantwortung. Die Rolle des Ethischen in der Psycho-analyse. Frankfurt am Main, Fischer.
  • Fromm, E. (2009). Humanismus als reale Utopie. Der Glaube an den Menschen. 2. Auflage, Ulm: Ullstein.
  • Grawe, K., Donati, R., Bernauer, F. (1994). Psychotherapie im Wandel. Von der Konfession zur Profession. 3. Auflage, Göttingen, Bern, Toronto und Seattle: Hogrefe.
  • Grawe, K. (2004). Neuropsychotherapie. Göttingen, Bern, Toronto und Seattle: Hogrefe.
  • Hargens, J. (1993). KundIn, KundigE, KundschafterIn. Gedanken zur Grundlegung eines „helfenden“ Zugangs. In: Zeitschrift für systemische Therapie, 11(1993) 1, S. 14 – 20.
  • Hargens, J. (1995). Kurztherapie und Lösungen. Kundigkeit und Respektieren. In: Familien-dynamik, 20 (1995) 1, Stuttgart: Klett-Cotta, S. 3 – 43.
  • Hargens, J. (2004). Aller Anfang ist ein Anfang. Gestaltungsmöglichkeiten hilfreicher systemischer Gespräche. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht.
  • Ludewig, K. (1995). Systemische Therapie. Grundlagen klinischer Theorie und Praxis. 3. Auflage, Stuttgart: Klett-Cotta.
  • Rogers, C. R. (2009). Entwicklung der Persönlichkeit. Psychotherapie aus der Sicht eines Therapeuten. 17. Auflage, Stuttgart: Klett-Cotta.
  • Schmidt, G. (2005). Einführung in die hypnosystemische Therapie und Beratung. Heidelberg: Carl-Auer.
  • Von Foerster, H. (1985). Sicht und Einsicht. Heidelberg: Carl-Auer.
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