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Die überraschende Ohnmacht guter Vorsätze: Warum Reha-Ziele oft ins Leere laufen – und was wirklich wirkt

Einleitung: Wenn der gute Wille auf der Strecke bleibt

„Regelmäßig bewegen, gesünder essen, mit dem Rauchen aufhören“ – wer kennt sie nicht, die wohlmeinenden Ratschläge und die daraus resultierenden „Rehaziele“, die Patient:innen nach einem oft einschneidenden gesundheitlichen Ereignis mit auf den Weg bekommen? Gerade in der kardiologischen Rehabilitation, wo die Notwendigkeit von Verhaltensänderungen lebensentscheidend sein kann, setzt man große Hoffnungen auf die Kraft der Zielvereinbarung. Doch was, wenn diese gut gemeinten Vorsätze im Alltag verpuffen wie Seifenblasen?

Der blinde Fleck der Verhaltensziele: Einblicke aus der Reha-Forschung

In Deutschland investiert die Deutsche Rentenversicherung (DRV) beträchtliche Summen in die Rehabilitation ihrer Versicherten, ein Großteil davon im Bereich der Psychosomatik. Ein zentraler Pfeiler dieses Ansatzes ist die Annahme, dass klar definierte „Rehaziele“ – meist Verhaltensziele wie die oben genannten – nachhaltig zur Verbesserung der Gesundheit beitragen. Die DRV selbst widmete in ihrem „Arbeitsbuch Zielvereinbarungen in der medizinischen Reha“ satte 96 von 98 Seiten eben diesen Verhaltenszielen.

Vor diesem Hintergrund finanzierte die DRV umfangreiche Forschungsarbeiten, die sich mit der „Zielerreichung“ beschäftigten. Ein vermeintlich sicheres Terrain wurde gewählt: die kardiologische Rehabilitation. Die Logik schien unschlagbar: Herzpatienten, die sich nicht bewegen, riskieren ihr Leben – ein klarer Appell an die Vernunft, aktiv zu werden.

Das unerwartete Ergebnis: Keine Unterschiede trotz Zielvereinbarungen

In einer aufwendigen Studie wurden Patien:inntengruppen gebildet: Eine Interventionsgruppe (IG 1) legte großen Wert auf die Formulierung von Zielen, eine zweite IG (IG 2) wurde nach der Reha telefonisch an ihre Ziele erinnert und eine Kontrollgruppe (KG) erhielt keine spezifischen Zielvereinbarungen. Die Hypothese war eindeutig: Die Interventionsgruppen würden sich signifikant mehr bewegen als die Kontrollgruppe, wobei IG 2 durch die zusätzliche Erinnerung noch besser abschneiden sollte.

Doch das Ergebnis war ernüchternd: Es zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen. Die Autor:innen der Studie mussten konstatieren: „Die Wirksamkeit von Zielvereinbarungen konnte nicht gezeigt werden.“

Die Macht der Haltung: Weshalb „Mottoziele“ den Unterschied machen könnten

Diese überraschende Erkenntnis deckt einen potenziellen blinden Fleck in der gängigen Rehabilitationspraxis auf. Dr. Dieter Olbrich hatte bereits frühzeitig für die Bedeutung von „Haltungs- oder Identitätszielen“ plädiert, im Zürcher Ressourcenmodell (ZRM) als „Mottoziele“ bekannt. Diese Ziele gehen tiefer als reine Verhaltensänderungen; sie zielen auf eine innere Haltung, eine neue Identität ab. Wer sich beispielsweise nicht nur „regelmäßig bewegen“ vornimmt, sondern das Motto entwickelt „Ich bin ein aktiver Mensch, der seinen Körper liebt und pflegt“, verankert die Motivation auf einer ganz anderen Ebene.

Dr. Dieter Olbrich nahm nach der Veröffentlichung der ernüchternden Studienergebnisse direkt Kontakt zu den Autor:innen auf, um eine Wiederholung der Studie mit Fokus auf Mottoziele anzuregen – leider ohne Erfolg. Doch für ihn bestätigte das Ergebnis die immense Bedeutung individuell entwickelter Mottoziele und deren intrinsische Motivationskraft. „Ohne Motivation keine Handlung“, betont er treffend. „Wer baut schon ein Haus ohne Fundament?“

Die Quintessenz: Mehr als nur Vorsätze – es braucht ein starkes Fundament

Die Ergebnisse der kardiologischen Reha-Studie sind ein Weckruf. Sie legen nahe, dass reine Verhaltensziele, die primär auf den Verstand abzielen, oft nicht ausreichen, um nachhaltige Veränderungen im Gesundheitsverhalten zu bewirken. Die tiefere Motivation, die aus einer veränderten inneren Haltung und Identität entsteht – verkörpert durch Mottoziele – könnte der entscheidende Faktor sein, der den Unterschied zwischen kurzfristigen Vorsätzen und langfristiger Lebensstiländerung ausmacht. Es bleibt zu hoffen, dass auch die Rehabilitationsträger diese Erkenntnis eines Tages in ihre Konzepte integrieren.

Mehr zum Thema „Wirksamkeit von Zielvereinbarungen in der kardiologischen Rehabilitation“ finden Sie hier: [Link zum zitierten Artikel]

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