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Gunther Schmidt: Wegweisende Prinzipien der Psychotherapie

„Wir haben in jedem Moment so viele Möglichkeiten, wie wir unsere Aufmerksamkeit unterschiedlich fokussieren können.“ Mit diesem einfachen und doch tiefgreifenden Gedanken umreisst Gunther Schmidt eines der Kernprinzipien seiner Arbeit. Lassen Sie uns eintauchen in die Welt seiner therapeutischen Prinzipien und seinen einzigartigen Beitrag zur Psychotherapie.

Die Kunst der Ressourcenaktivierung

Ein zentrales Prinzip in Schmidts Arbeit ist die konsequente Fokussierung auf Ressourcen. Dies bedeutet nicht, Probleme zu ignorieren oder schönzureden, sondern sie in einem neuen Licht zu betrachten: als Ausdruck von Kompetenz. Jedes Symptom, jedes Problem ist aus dieser Perspektive ein hochkompetenter Versuch, ein bestimmtes Ziel zu erreichen – auch wenn die Nebenwirkungen manchmal unangenehm sind.

Schmidt betont immer wieder: „Es gibt keine unmotivierten Menschen – es gibt nur Menschen, die für etwas anderes motiviert sind, als wir zunächst annehmen.“ Diese Haltung erzeugt einen fundamentalen Perspektivwechsel. Statt zu fragen: „Was ist das Problem und wie beseitigen wir es?“, lautet die Frage nun: „Wofür ist dieses Verhalten eine Lösung, und welche alternativen Lösungen könnten wir finden, die weniger Nebenwirkungen haben?“

Diese Neuorientierung verändert nicht nur den therapeutischen Prozess, sondern auch die Beziehung zwischen Therapeut:in und Klient:in. Der/Die Therapeut:in wird anstelle der „Expert:in für Probleme“ zur „Unterstützer:in bei der Entdeckung und Mobilisierung vorhandener Ressourcen“.

Die Multiperspektivität des Erlebens

Ein weiteres Kernprinzip ist die Annahme, dass Menschen in verschiedenen Zuständen (States) leben und unterschiedliche „Ich-Zustände“ oder „innere Anteile“ aktivieren können. Schmidt spricht augenzwinkernd von „320 verschiedenen Ichs“, die in allen von uns schlummern.

Dies ist nicht als pathologische Fragmentierung zu verstehen, sondern als normale menschliche Vielfalt. Probleme entstehen erst, wenn bestimmte Zustände dominant werden und andere wichtige Perspektiven ausgeschlossen werden. Die Kunst der Therapie liegt darin, dieses innere Team wieder ins Gespräch zu bringen und Kooperation statt Konkurrenz zwischen den verschiedenen Anteilen zu fördern.

Schmidt nutzt häufig Metaphern aus dem Sport oder der Musik, um dieses Prinzip zu verdeutlichen: „Es ist wie bei einer Fussballmannschaft – Sie brauchen verschiedene Spielertypen mit unterschiedlichen Fähigkeiten. Der Torwart muss andere Qualitäten haben als der Stürmer. Wenn alle nur stürmen wollen, wird das Team verlieren. Es geht darum, die richtige Balance zu finden und jeden Spieler in seiner Rolle wertzuschätzen.“

Die Macht der Aufmerksamkeitsfokussierung

Einer der innovativsten Beiträge Schmidts ist seine detaillierte Arbeit mit der Aufmerksamkeitsfokussierung. Er betont, dass wir in jedem Moment durch unsere Fokussierung bestimmen, welche Aspekte der Realität für uns wirksam werden und welche nicht.

„Wenn Sie jetzt in diesem Raum auf alles Rote fokussieren, werden Sie plötzlich viele rote Dinge bemerken, die Ihnen vorher nicht aufgefallen sind. Wenn Sie danach auf alles Blaue fokussieren, sehen Sie plötzlich vorwiegend Blaues. Die roten Dinge sind nicht verschwunden, aber sie treten in den Hintergrund. So funktioniert unsere Wahrnehmung ständig – wir wählen aus, was wir wahrnehmen, meist ohne es zu bemerken.“

Diese scheinbar simple Erkenntnis hat weitreichende Konsequenzen für die Therapie. Wenn Menschen in Problemzuständen feststecken, fokussieren sie oft ausschliesslich auf problematische Aspekte ihrer Erfahrung und übersehen dabei ressourcenreiche Erfahrungen, die ebenfalls vorhanden sind, aber nicht beachtet werden.

Die hypnosystemische Therapie arbeitet gezielt mit Interventionen, die neue Fokussierungen ermöglichen und damit neue Erfahrungsräume eröffnen.

Integration von Hypnotherapie und systemischem Denken

Schmidts einzigartiger Beitrag liegt in der Integration von hypnotherapeutischen und systemischen Konzepten. Während die Hypnotherapie traditionell eher mit Einzelpersonen arbeitet und innere Prozesse fokussiert, betrachtet die systemische Therapie Probleme im Kontext von Beziehungen und Kommunikationsmustern.

Schmidt erkannte, dass beide Perspektiven nicht nur kompatibel sind, sondern sich gegenseitig bereichern können. Er entwickelte Interventionen, die sowohl innere Prozesse als auch Beziehungsdynamiken berücksichtigen und veränderte damit das therapeutische Feld nachhaltig.

Ein Beispiel dafür ist seine Arbeit mit dem „Problem-Trance-Status“ und dem „Lösungs-Status“. Menschen in Problemzuständen befinden sich häufig in einer Art ungewollten Trance – sie fokussieren auf bestimmte Aspekte ihrer Erfahrung und blenden andere aus. Diese Fokussierung ist nicht nur ein innerer Prozess, sondern wird auch durch Kommunikation und Beziehungsgestaltung aufrechterhalten.

Die Therapie arbeitet daran, sowohl die innere Fokussierung zu verändern als auch neue Kommunikationsmuster zu etablieren, die ressourcenreichere Zustände unterstützen.

Die Verbindung zur Praxis

In seiner praktischen Arbeit zeichnet sich Schmidt durch aussergewöhnliche Kreativität und Flexibilität aus. Er entwickelt seine Interventionen stets individuell für alle Klient:innen und passt sie genau an deren / dessen Bedürfnisse und Möglichkeiten an.

Ein typisches Beispiel ist seine Arbeit mit „Aufstellungen des inneren Systems“. Hier werden innere Anteile oder Stimmen externalisiert und im Raum positioniert, so dass der Klient/ die Klientin seine/ihre innere Dynamik von aussen betrachten und neu gestalten kann. Diese Methode verbindet hypnotherapeutische Elemente (Arbeit mit inneren Zuständen) mit systemischen Konzepten (Betrachtung von Beziehungsmustern und Interaktionen).

Schmidt betont dabei immer wieder die Wichtigkeit einer wertschätzenden Haltung gegenüber allen Anteilen: „Jeder Teil hat eine positive Absicht, auch wenn die gewählten Mittel manchmal problematisch sein mögen. Wenn wir diese positive Absicht würdigen, öffnen sich Wege für Veränderung, die vorher verschlossen waren.“

Seine Arbeit ist geprägt von tiefem Respekt vor der Autonomie der Klient:innen. „Ich kann niemanden verändern“, sagt er oft, „ich kann nur Einladungen aussprechen und Angebote machen. Der Klient / Die Klientin entscheidet selbst, ob und wie sie diese Angebote nutzen.“

Dieser Respekt vor der Selbstorganisation der Klient:innen ist vielleicht der wichtigste Beitrag Schmidts zur therapeutischen Landschaft – eine Haltung, die sowohl wissenschaftlich fundiert als auch zutiefst menschlich ist.

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