von Dorothea Thomaßen
Auftreten und Erkennen von Tranceprozessen
Hypnotherapeuten arbeiten mit Tranceprozessen. Diese können bewusst induziert sein oder natürlich entstehen. Trance wird für diesen Text als ein Zustand fokussierter Aufmerksamkeit definiert, der offen ist für Suggestionen. Diese drei Parameter – Zustand, Aufmerksamkeitsfokus und Einfluss – bedingen sich gegenseitig, zwischen ihnen besteht ein ständiges Wechselspiel. Eine Information kann in das Bewusstsein einfließen, wenn sie Aufmerksamkeit bekommt. Diese Aufmerksamkeit aber ist vom Zustand eines Menschen abhängig, alltägliche Beispiele sind Müdigkeit oder Wachheit. Eine erschütternde Nachricht, wie die Diagnose einer Krebserkrankung, kann sowohl den Zustand als auch den Fokus verändern, aber die Richtung dieser Veränderungen ist nicht voraussagbar. Innere Abkapselung und Schockstarre sind ebenso möglich wie erhöhte Aufmerksamkeit und Agitiertheit. Hypnotherapeutisch gesehen sind beide Zustände Trancephänomene. Der erste beschreibt kataleptische Eigenschaften, wer so reagiert, kann sogar für jede weitere Kommunikation unerreichbar werden. Die zweite Reaktion führt zu einem aufgelösten Ich- Zustand mit stark erhöhter Suggestibilität. Weitere mögliche Reaktionen sind Verleugnung, also Amnesie, oder die völlige Unfähigkeit, an etwas anders zu denken, also Hypermnesie. Dies sind natürliche Trancezustände, es bedarf keiner subtilen hypnotischen Fähigkeiten, um sie auszulösen.
Die jeweiligen Zustände zeigen sich in Mimik, Körperhaltung, Muskeltonus, Atemtiefe, Blickrichtung, Hautfarbe, Transpiration, Geruch, Stimmklang und Sprachrhythmus. Sie drücken sich also somatisch stärker aus als über das gesprochene Wort, sie sind wahrnehmbar. Gerade in der Beobachtung körperlicher Phänomene sind somatisch Ärzte häufig gut geschult. Man nennt dies den klinischen Blick. Für ein hilfreiches Gespräch ist es wichtig, diesen Blick zu kultivieren. Man muss die Aufnahmefähigkeit und Aufnahmebereitschaft seines Gegenübers bewusst wahrnehmen, um angemessen damit umgehen zu können. Ein gelungener Austausch ist eine wichtige Basis für eine gute Zusammenarbeit, und da das gesprochene Wort in Ausnahmezuständen hypnotisch wirken kann, gilt eine besondere sprachliche Sorgfaltspflicht. Emotionen erreichen das Vegetativum, also das Soma, ein falsches Wort kann großen Schaden anrichten, ein gutes Wort kann großen Nutzen bringen. Das ist als Nocebo- und Placebo-Wirkung bekannt. Wenn ein medizinischer Befund die Selbstdefinition eines Menschen tangiert, führt das auf kognitiver wie emotionaler Ebene zu einem aufgelösten Ich-Zustand. Das führt zu einem Bedürfnis nach Restrukturierung sowie erhöhter Beeinflussbarkeit, also Suggestibilität. Was in solchen Situationen gesagt wird, hat hypnotische Wirkung, die selbst dann noch bestehen bleiben kann, wenn das Gesagte später durch eine Stabilisierung des Zustands mit Amnesie belegt wurde. Nocebo- und Placebo-Wirkungen können zu nachhaltigen Veränderungen in der Ich-Struktur eines Menschen führen. Sie werden zum Bestandteil seiner Neuorganisation.
Daher können die gleichen Menschen zu einem späteren Zeitpunkt, wenn der Ich-Zustand sich reorganisiert hat, veränderungsresistent sein. Wenn das falsche Wort zu einem Pfeiler der neuen Identität geworden ist, prallen selbst gut begründetet Informationen, die das Handlungsspektrum wieder erweitern sollen, oft ab. Dieses Phänomen nennt man zustandsabhängiges Lernen und Erinnern. Das Gelernte ist an den emotionalen und vegetativen Zustand der ursprünglichen Situation gebunden. Korrekturen sind nur in einem ähnlichen aufgelösten Ich-Zustand möglich. Das erklärt, warum ein aufgelöster Ich-Zustand andere Anforderungen an die Gesprächsführung stellt als eine organisierte Ich-Struktur. Auch die hypnotherapeutischen Interventionsmöglichkeiten unterscheiden sich deutlich.
Stabilisierende Kommunikation bei aufgelöster Ich-Struktur in akuten Krisen
Instabile Ich-Strukturen sind typisch für akute Notfälle, Krisen und natürlich für Kinder. Das vorhandene Erfahrungsrepertoire kennt keine adäquaten Bewältigungsstrategien, es hat eine Handlungskompetenz. Dieser Erfahrungsmangel führt zu einem Suchprozess, der den Fokus öffnet. Der Aufnahmespeicher ist noch leer, angebotene Informationen sind einflussreich und suggestiv. Es ist wie Schreiben auf weißem Papier. Der Therapeut muss eine handlungsfähige Ich-Struktur haben, es geht um hohe Verantwortungsübernahme und sprachliche Sorgfalt. Sprache wird zur Handlung mit weitreichender Wirkung. Entscheidend ist die Fähigkeit zu kompetenten Leadingangeboten, sie kann sogar für eine direkte Kommunikation mit dem Körper genutzt werden. Dazu muss der Therapeut die gesunde Physiologie kennen und sprachlich positiv ausdrücken können. Direktive Sprache, sogar der Imperativ, kann eine große Wirkung erzielen. Heilsame Sprache orientiert sich am körperlichen und emotionalen Zustand. Sie stabilisiert den Ich-Zustand und stellt Handlungsfähigkeit her.
Zur Verdeutlichung möchte ich an Beispielen zeigen, wie sich Ich-Strukturen im diagnostischen Prozess auflösen, aber auch wiederherstellen lassen: Ein junger Mann, er hat gerade sein erstes Studiensemester erfolgreich hinter sich gebracht, er möchte Blut spenden. Die Routineuntersuchung ergibt eine Erhöhung der Blutplättchen, die Abklärung des Befundes eine maligne neoplastische Thrombocytämie. Bei dieser seltenen bösartigen Erkrankung sind eine heilende Therapie und Genaues zum Verlauf unbekannt. Bei dem jungen Mann befindet sie sich im sogenannten Warte- oder Latenzstadium, in dem sich der Betreffende als gesund erlebt – genauer gesagt: bis zur Diagnose als gesund erlebt hat. Dieses Stadium kann Monate, Jahre, sogar Jahrzehnte dauern. Eine symptomatische Therapie erscheint aus heutigem Kenntnisstand erst bei Ausbruch der Erkrankung sinnvoll, und auch dann gilt das ärztliche Handeln nur dem Lindern der Begleiterscheinungen. Dennoch wird dem Studenten aufgrund der Diagnose versichert, es sei für ihn von Vorteil, um seine Erkrankung zu wissen. Damit er den Ausbruch der Erkrankung möglichst früh erkennen kann, weist man ihn auf Frühsymptome hin. Die sind allerdings sehr unspezifisch, Beispiele sind Kribbelgefühle in Händen und Füßen oder auch Merkstörungen, dies kann auf Durchblutungsstörungen in der Peripherie, bzw. dem Gehirn hinweisen. Aus medizinischer Sicht ist damit alles getan, der junge Mann und seine Familie aber stehen unter Schock. Im Zeitraum der diagnostischen Abklärung sind seine Blutplättchen angestiegen, aber nicht so stark, dass ärztlicherseits Handlungsbedarf bestünde. Medizinisch hat lediglich Diagnostik stattgefunden; es wurde etwas festgestellt, was schon war. Für den jungen Mann war die Knochenmarkspunktion, die im Rahmen der Abklärung durchgeführt wurde, zwar schmerzhaft, das wirklich Invasive der Prozedur aber war nicht der körperliche Schmerz. Ein ordentlicher Tritt vors Schienenbein kann ähnlich schmerzhaft sein, beim Fußball aber zum Antrieb werden, einen Elfmeter ins Tor zu befördern. Einschneidend ist vielmehr, dass ein medizinischer Befund ihn zwang, die eigene Selbstdefinition von gesund zu krank zu verändern, und ihm keinerlei eigene Handlungsmöglichkeiten in Aussicht stellte. So wurde aus einem aktiven, altruistischen jungen Mann ein Patient, also ein Duldender. Anfangs empfindet sich der Student als so gesund, dass er anderen von seinem Blut abgeben will. Mit diesem Fokus erlebt er sich und seine Zukunft völlig offen, zumal er gerade ein Studium begonnen hat. Unter hypnotherapeutischen Gesichtspunkten ist die Offenheit und Planbarkeit der Zukunft lediglich eine Annahme, eine Suggestion, für jeden kann morgen alles vorbei sein. Friedrich Nietzsche prägte den Begriff der „lebensdienlichen Illusionen“, andere würden es Abwehr oder Verleugnung nennen. Aber ohne diese Mechanismen würden wir vermutlich jeden Morgen zutiefst verängstigt aufwachen, schließlich gibt es jeden Tag zahllose Möglichkeiten, ums Leben zu kommen. Unser Bewusstsein blendet das aus, indem es sich auf Dinge konzentriert, die bewältigbar sind. So bleiben wir handlungsfähig. Selbstverständlich beeinflussen diese „lebensdienlichen Illusionen“ auch unsere psychische Befindlichkeit, die wiederum wirkt durch psychoneuroimmunologische Mechanismen auf den Zustand des Körpers. Zuversicht und Vertrauen prägen Schlaf, Appetit, Atmung, Blutdruck, Sexualität usw. ganz anders als Sorge und Angst.
Als der junge Mann zum Blutspenden geht, verschwendet er vermutlich keinen Gedanken an die Allgegenwart unserer Endlichkeit. Auch das ist ein Trancephänomen. Nach der – sachlich berechtigten – Diagnose verändert sich das. Aber nach einer solchen Nachricht vergisst man leicht, wie viel am eigenen Körper immer noch gesund ist. Eine medizinische Untersuchung kann nur sichtbar machen, wonach sie sucht: die Pathologie. Ärzte nennen das dann positiv, alles andere negativ. Von daher kann man der Diagnostik keinen Vorwurf machen, wenn sie schlechte Nachrichten bringt.
Als er nach dem Nutzen der Diagnose fragt, zeigt sich auch in der Antwort, die er erhält, wie sehr medizinisches Handeln auf Pathologie ausgerichtet ist: Er soll Frühsymptomen wie Kribbelgefühle und Vergesslichkeit erkennen können. Aber das sind sehr unspezifische Symptome. Vermehrte Blutplättchenverklumpung können tatsächlich Durchblutungsstörungen auslösen, aber solche Phänomene treten beispielsweise auch bei Hyperventilationstetanie auf, wenn aus Angst verstärkt geatmet wird. Eine allzu ängstliche Selbstbeobachtung kann also solche Kribbelgefühle, sogenannte Parästhesien, hervorrufen. Weil sich auch die Blutgefäße eng stellen, sind die Hände kalt. Das wiederum kann unter der Suggestion des latenten Krankseins und angesichts der befürchteten Frühsymptome zur Vermutung führen, die Krankheit stehe kurz vor dem Ausbruch. Das ist noch nicht alles: Kribbelgefühle in Händen und Füßen gehören auch zur gelassenen Selbstbeobachtung. Das wissen alle, die Vipassana, Body-Scan nach Jon Kabat-Zinn oder Yoga praktizieren, Meditationsmethoden also, die mit dem Gewahrsein natürlicher Körperempfindungen arbeiten. Diese Form der Selbstbeobachtung führt physiologisch häufig zu einer verbesserten Durchblutung und damit Erwärmung. Das gleiche Phänomen kann also, je nach Art der Beobachtung, nicht nur etwas anderes bedeuten, sondern auch anders wirken. Informationen sind Suggestionen.
„Diagnosen sind Nominalisierungen von Prozessen, bei denen das Prozesshafte verloren geht.“ pflegte Ulrich Freund, Ausbilder der MEG, zu sagen. Durch den Fokus auf Pathologie wird der Nutzen der Diagnose kontextkonform auf Frühsymptome und Krankheitsausbruch gelenkt. Die informierenden Ärzte scheinen nicht zu wissen, dass die Körperempfindungen, die sie Frühsymptome nennen, bei ängstlicher und gelassener Selbstbeobachtung normal sind. Das ist ein systemimmanentes Trancephänomen im Gesundheitssystem, das eben nicht auf Gesundheit, sondern auf Krankheit ausgerichtet ist. Aus diesem Grund fokussieren sie die Aufmerksamkeit auf den Ausbruch der Erkrankung. In diesem System sind Krankheit und Gesundheit Gegensätze: Ich bin krank oder ich bin gesund. Wir können nicht wissen, wie sich die Diagnose langfristig auf das Leben des jungen Mannes auswirken wird. Vielleicht wird er sich ängstlich beobachten, ein Kribbeln in Händen und Füßen bemerken, die Symptomatik durch Hyperventilationen unbewusst verstärken, das als Zeichen des Ausbruchs seiner Erkrankung werten und schließlich, um ein schlimmes Ende vorwegzunehmen, Suizid begehen. Es kann auch sein, dass ihm das Wissen um die eigene Endlichkeit und Verletzlichkeit hilft, gesunde Entscheidungen zu treffen, auf Genussgifte zu verzichten, sich bewusst zu ernähren, genug zu schlafen, Sport zu machen. Er könnte darauf achten, seine Zeit nicht sinnlos zu vergeuden, sondern aus jedem Moment das Beste zu machen, und so ein erfülltes, vielleicht sogar langes Leben führen. Denn auch die Vorstellung, gesund zu sein, kann zu vielen falschen Entscheidungen verführen. Zwischen den genannten Möglichkeiten liegt ein breites Spektrum an Alternativen. Welche gewählt und gelebt wird, ist vom Zusammenspiel dieser Variablen abhängig:
– Der Fokus: Worauf richte ich mich aus?
– Der Zustand: Wie erlebe ich mich?
– Die Suggestion: Welchen Einflüssen schenke ich Bedeutung?
Wir erinnern uns: In der normalen medizinischen Terminologie bedeutet positiv, dass ein krankheitsrelevanter Befund erhoben wurde, negativ der Ausschluss von Pathologischem. Von Ludwig Wittgenstein stammt der Satz: „Das Ende unserer Sprache ist das Ende unserer Welt.“ Eine heilsame Sprache, die die Welt erweitert, beginnt mit einer Wortwahl, die jenseits des medizinischen „negativ“ einsetzt – und daher nicht vorkommt. Es macht einen Unterschied, ob ich einem Menschen mitteile: „Alle Untersuchungen waren ohne pathologischen Befund.“ oder: „Was wir untersucht haben, war in Ordnung.“ Salutogene Sprache zeigt das Gesunde auf und macht es bewusst, sie führt den heilen Körper in die therapeutische Sprache ein und beschreibt gesunde physiologische Funktionen. Ein Schatzkästchen gesundheitsfördernder Kommunikation ist das Buch von Bernhard Lown „Die verlorene Kunst des Heilens“. Er beschreibt viele Situationen, in denen einfache Sätze Krankheitsverläufe radikal beeinflussen. Brechen in einer Krisensituation die Verarbeitungsmechanismen angesichts eines Übermaßes an Komplexität zusammen, entsteht ein hohes Bedürfnis nach Ich-Rekonstruktion. Dann stellt eine Ich-rekonstruierende Kommunikation Individualität und Beziehung her; sie eröffnet Perspektiven und zeigt Handlungsmöglichkeiten auf. Ihr Sprachmuster ist eindeutig, klar und richtungweisend. Wichtig ist es, darauf zu achten, unter welchen Bedingungen Menschen ihre Diagnosen erfahren. Oft müssen Patienten längere Zeit in ihren Betten auf Fluren warten, während Ärzte, Schwestern, MTAs geschäftig an ihnen vorbeihasten. Die eigene Zeit hingegen erscheint durch Fragen und Grübeln endlos. Die Frage: „Was ist mit mir los?“ wird dringlicher. Medizinische Untersuchungen aber sind depersonalisierend. Charakter, Beruf, Familienstand, Lebenserfahrung des zu untersuchenden Menschen, all das also, was unsere Unverwechselbarkeit ausmacht, spielt für Labor und diagnostische Apparate keine Rolle. Ein Mann mit erhöhten Gammaglobulinen wird von seinem Hausarzt zum Ausschluss eines Plasmozytoms zum Röntgen geschickt. Dieses aufwendige Röntgenschema erstreckt sich über alle Körperregionen. Während der Untersuchung wird die Assistentin mehrfach von einer Kollegin gestört und weist diese schließlich scharf zurecht: „Siehst Du nicht, dass ich hier ein Plasmozytom auf dem Tisch habe?“ Die Röntgenaufnahmen ergeben einen altersentsprechenden Normalbefund, aber durch die unbedachte Äußerung ist der gesamte psycho-physiologische Zustand des Patienten in einen Ausnahmezustand geraten. So entsteht ein aufgelöster Ich-Zustand mit erhöhter Suggestibilität. Um zusammenzufassen: Heilsame Kommunikation im aufgelösten Ich-Zustand ist stabilisierend und direktiv. Sie kann das Gesunde sprachlich benennen und erweitert damit den medizinischen Sprachgebrauch, der sich darauf spezialisiert hat, Pathologisches auszudrücken. Verantwortungsbewusste, Ich-rekonstruierende Leadings sind gefragt, ein klinischer Blick für somatische Phänomene ist unabdingbar.
Instrumentelle Hypnose bei therapeutischen Eingriffen
Eine weitere Möglichkeit, hypnotische Phänomene im klinischen Alltag zu nutzen, ist die instrumentelle Hypnose. Darunter verstehe ich eine Aufmerksamkeitslenkung, die einem Patienten hilft, eine medizinische Behandlung dank Hypnose oder Selbsthypnose gut zu bewältigen. Klassische hypnotherapeutische Strategien sind: das Aufsuchen des sicheren Ortes, die Aktivierung einer guten Erfahrung, Utilisation äußerer Gegebenheiten über eine Sowohl-als-Auch-Logik, Ressourcentransfer und einiges mehr. Mit einer instrumentellen Hypnose sind, einer Narkose vergleichbar, keine therapeutischen Absichten verbunden. Diese Hypnose aktiviert eine gute innere Erfahrung, so dass eine äußere medizinische Behandlung besser ausgehalten werden kann. Es entsteht eine Art „Arbeitsteilung“: Der Patient hält sich in seiner mentalen Welt auf und überlässt seinen Körper dem Arzt, der sich in Ruhe um den Eingriff kümmern kann. Als konkretes inneres Erlebnis ist diese Trance Ich-rekonstruierend, als gutes Erlebnis geht sie mit den entsprechenden günstigen physiologischen Wirkungen auf Blutdruck, Atmung und Muskeltonus einher. Wenn es gelingt, werden beide, Patient und Arzt, durch arbeitsteilige Teamarbeit entlastet.
Bei größeren Eingriffen ergibt sich besonders für Anästhesisten ein weites Einsatzfeld. Ein Beispiel hierfür ist das hypno-sedative Verfahren der Anästhesistin Prof. Elisabeth Fayemonville, Chefärztin des Centre Hospitalier Universitaire in Lüttich. Mit ihrer Arbeitsweise konnten sie erreichen, dass die postoperativen Nebenwirkungen im Vergleich zu herkömmlichen Narkoseverfahren deutlich schwächer ausfielen und die postoperative Rekonvaleszenszeit sogar um zwei Wochen verkürzt war. Prof. Ernil Hansen, Oberarzt für den Bereich Neurochirurgie am Universitätsklinikum Regensburg, sieht einen besonderen Vorteil der Hypnose darin, dass der Patient während des neurochirurgischen Eingriffs sprechen kann. Dadurch lässt sich die Nähe zum Sprachzentrum sehr viel klarer einschätzen. Eine besondere Bedeutung kommt dem Aufklärungsgespräch zu. Ein Patient muss seine Fragen so stellen können, dass sie zu seiner Befriedigung beantwortet werden. Anderenfalls kann er begleitende invasive Maßnahme nicht als sinnvoll verstehen. Eine Aufzählung aller Komplikationsmöglichkeiten ist für die rechtliche Absicherung der Ärzte wichtig. Da aber auf den Patienten viel Unbekanntes und Bedrohliches zukommt, ist seine Aufmerksamkeit erhöht, Informationen wirken hypnotisch. Ärzte verstärken seine Ängste, wenn sie nur über Komplikationsmöglichkeiten aufklären. Ein Satz wie: „Operationen gehen mit erhöhtem Thromboserisiko einher, darum bekommen Sie Spritzen.“ lenkt die Aufmerksamkeit auf „Thrombose“ und „Spritze“. Angst reduzierend wirken verständliche Informationen, die den Sinn einer Behandlung deutlich machen, die neben dem Risiko den angestrebten Nutzen konkret benennen. Da Handlungsmöglichkeiten immer auch ein Gefühl von Kontrolle geben, sollte direkt um Kooperation geworben werden: „Ihr Körper wird sein Gerinnungssystem aktivieren. Das ist im Operationsgebiet hilfreich, kann aber auch zu Blutgerinnseln in anderen Bereichen führen. Damit dort Ihre Durchblutung dort möglichst erhalten bleibt, werden Sie Spritzen bekommen, die die Fließeigenschaften des Blutes verbessern. Außerdem werden wir Sie frühzeitig aufsetzen und mobilisieren, auch wenn Sie selbst am liebsten noch liegen bleiben würden. Das alles geschieht zu Ihrem Schutz, Sie können uns helfen, indem Sie mitarbeiten.“ Bei großen Eingriffen hat es sich bewährt, auch den Aufenthalt im Aufwachraum oder auf einer Intensivstation vorzubereiten. Hierbei werden wiedererkennbare Gegebenheiten dieser Orte utilisiert: „Dort brennt Tag und Nacht Licht. So wissen Sie, dass immer jemand da ist, der nach Ihnen schaut.“ Oder „Ihr Herzschlag wird als akustisches Signal hörbar gemacht. So können Sie hören, dass Ihr Herz ruhig und regelmäßig schlägt.“ Und auch: „Wenn es Ihnen um Sie herum zu viel wird, gehen Sie an einen guten inneren Ort, an dem Sie sich wohl und sicher fühlen.“
Hypnotherapeutische Begleitung von längeren Verläufen
Anders als bei einem aufgelösten Ich-Zustand ist ein hochgradig organisierter Ich-Zustand mitunter veränderungsresistent. Selbst gut begründete Informationen stoßen auf Skepsis. Komplexe Ich-Strukturen haben Erwachsene im Normalzustand und bei chronischen Erkrankungen. Hinter jedem etablierten Muster steckt eine Geschichte, eine zur Gewohnheit gewordene Konstruktion, die sich im Leben dieses konkreten Menschen bewährt hat. Neue Informationen können nur angenommen werden, wenn sie entweder in das vorhandene uster passen, oder wenn sich das Muster verändert. Leadingangebote erzeugen Widerstand, wenn sie nicht kongruent zum Patientenmuster sind. Tumorerkrankungen können langwierig sein. Auf diesem Weg macht ein Mensch mit sich selbst ebenso wie mit verschiedensten Behandlungen viele neue Erfahrungen. Oft beschreitet er komplementäre Wege, was er aber seinen behandelnden Ärzten wegen des Richtungsstreits der Schulen verheimlicht. Hypnotherapie als ambulantes Verfahren kann ein solches komplementäres Verfahren sein. Wer einen zusätzlichen Weg beschreitet, tut dies, weil die bisherigen Methoden nicht den Erfolg gebracht haben, den sich die meisten Menschen wünschen: Gesundung. Ein Therapeut, der in einer solchen Situation erwartet, dass der Patienten eine vorgeschlagene Therapie unhinterfragt begrüßt, verkennt dessen Realität. Ein skeptisches Hinterfragen des Therapeuten ist eine gesunde und normale Reaktion. Die gemachten Erfahrungen sind in eine komplexe Ich-Struktur eingeflossen. Hypnotherapie arbeitet in und mit der Subjektivität ihrer Klienten. Pacing, also die wertschätzende Bestätigung des Patientenmusters, ist die Basis des gemeinsamen Arbeitsbündnisses. Das Besondere dieses Umgangs ist, dass der Therapeut auf Widerstände nicht gegenläufig reagiert, sondern sie aufgreift, spiegelt und utilisiert. Eine komplexe Ich- Struktur wird beweglicher, wenn sich der Therapeut anpasst und ein „Wir“ kreiert. Pacing ist bei komplexen Strukturen destabilisierend, oder positiv ausgedrückt: Es bewirkt Flexibilität als Voraussetzung für deren Veränderung.
In meiner Praxis arbeite ich mit Tumorpatienten anfangs genauso wie mit jedem anderen Klienten. Am Beginn steht immer eine Auftrags- und Ressourcenklärung: Was ist das Ziel des Patienten? Kennt er etwas, was ihm schon einmal geholfen hat? Offene Fragen sind eine wichtige und auch suggestive Kommunikationsstrategie, Menschen in Kontakt mit ihrem eigenen Wissen zu bringen.
Auftragsklärung mit den Klienten bedeutet, für jedes einzelne Problemfeld eine eindeutige und positive Zielformulierung zu finden, und zwar in der Sprache des Auftraggebers: Was ist ein gesunder Schlaf? Wie schnell soll das Einschlafen gehen? Was sind günstige Vorbedingungen? Wie würde er eine normale Verdauung beschreiben? Was macht Appetit? Wie kann er sich wieder sicher fühlen? Was ist ein gutes Körpergefühl? Offene Fragen helfen, eine heilsame Klientensprache zu entwickeln. Und da Worte Anker für Zustände sind, aktiviert der Klient sie bereits teilweise, wenn er die passenden Worte dafür sucht und findet. Darüber hinaus bringen sie ihn in Kontakt mit seinen Ressourcen. Mit eigenen Vorschlägen bin ich sehr zurückhaltend und gegebenenfalls subversiv. Ich formuliere sie bewusst beiläufig, eher im Konjunktiv und unter Gebrauch von Hilfsverben. Wenn etwas davon angenommen wird, ist es schön, aber darauf kommt es nicht an. Wichtig ist vor allem, dass sich der Klient wieder als Subjekt seines Handels erleben kann. Hypnotherapeutische Verfahren wende ich erst nach einer grundlegenden Ziel- und Ressourcenklärung an. Meine Prämisse lautet: Zuerst arbeitet der Betroffene, indem er sein eigenes Wissen erforscht, dann arbeite ich. Erst nehmen, dann geben. Meine Arbeit geschieht auf der Basis von Informationen, die für den Klienten bereits selbstwirksam sind. Für mich unterscheidet sich der therapeutische Umgang mit Tumorpatienten nur in wenigen Punkten von der Arbeit mit Gesunden. Die aber sind mir sehr wichtig. Viele Induktionstechniken führen vom Sehen ins Fühlen, also von außen nach innen, und sind Assoziationstechniken. Tumorpatienten erleben ihren Körper aber oft als nicht mehr ihnen gehörend. Sie nehmen den Tumor als Feind wahr, der „das eigene Haus bewohnt“, es enteignet. Im Vokabular der meisten Tumorpatienten wimmelt es von kämpferischen, geradezu kriegerischen Begriffen, und ihre Erfahrungswelt des Spürens ist ja oft wirklich sehr leidvoll besetzt. Schmerz, Atemnot, Schwäche, Kälte, all das ist schwer erträglich, Operationen und Chemotherapien sind nicht geeignet, zu sich selbst nach Hause zu kommen. Wie erwähnt, sind die zur Begleitung von invasiven Therapien durchgeführten instrumentellen Trancen in der Regel Dissoziationsstrategien. Tranceinduktionen, die in der ußenwahrnehmung beginnen und dann nach innen führen, überfordern daher Tumorpatienten häufig. Sie laufen dem Bedürfnis, die eigene Befindlichkeit auszublenden, entgegen. Dennoch ist es wichtig, ihren Zustand des Neben-Sich-Seins aufzulösen, damit sie wieder so etwas wie ein verkörpertes Selbst erfahren. Im Bereich der medizinischen Hypnose geht es auch darum, körperliche Effekte zu erreichen. Schlaf, Appetit, Blutdruck, Schmerz und immunologische Faktoren lassen sich günstig beeinflussen. Daher muss der Körper unbedingt mit einbezogen werden.
Bei den Induktionstechniken gehe ich daher von innen nach außen vor, also vom Fühlen ins Sehen, gegebenenfalls auf die Rückseite der geschlossenen Augenlider. Auch so ist das Spüren integriert, aber dosiert. Ein Kollege mit einem Tumor sagte zu diesem Vorgehen: „Das wichtige, das Gefühl zu sich selbst, zuerst.“ Zum zweiten können Gefühlsqualitäten sprachlich integriert werden. Meiner Erfahrung nach ist es wichtig, den Auftrag im Erfahrungsfeld des Symptoms zu klären. Symptome werden körperlich erlebt, daher führt eine Auftragsklärung im Erfahrungsfeld des Symptoms automatisch zu Worten, die eine gesunde Kinästhetik begrifflich fassen. Da der Klient sie in der eigenen Erfahrung findet, ruft er sie ab und verändert damit seinen Zustand. Wenn man den Patienten dann bittet, den Ort im Körper zu finden, an dem er die gesunden Qualitäten am deutlichsten spüren kann, vertieft sich der positive Kontakt zum Leib. Dort kann man zusätzlich einen Körperanker setzen und eröffnet die Möglichkeit das Gesunde als wiederholbare Erfahrung abzurufen. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, die Aufmerksamkeit auf Orte zu lenken, die erfahrungsgemäß häufig mit Kontrolle verbunden sind und an denen Kinästhetik leicht spürbar ist. Als Handlungsorgane sind dies Hände und Füße, sie stellen eine Verbindung zwischen innen und außen her. Dafür müssen sie selbstverständlich gesund sein, bei einem Hand-Fuß-Syndrom unter Chemotherapie rate ich davon ab. Welchen Weg ein Mensch auch gehen mag, der Schlaf spielt für alle eine zentrale Rolle. Die dunkle Nacht lässt das Fühlen deutlicher werden, Reizarmut öffnet dem Grübeln die Tür. Viele erleben Liegen, Einsamkeit und Stille als Vorwegnahme des Todes und reagieren mit Angst. Sie können nicht mehr schlafen und berauben sich so einer wichtigen Quelle der Regeneration, sie nehmen Schlafmittel oder schlafen erst gegen Morgen und weit in den Tag hinein. Helligkeit und vertraute Geräusche beruhigen. So entsteht ein paradoxer, gegenläufiger Schlaf-Wachrhythmus. Dagegen gibt es kein allgemein gültiges Rezept, für mich ist es immer wieder ein Spiel von Versuch und Irrtum, mit meinen Klienten gute Strategien für gesunden Schlaf zu erarbeiten. Grundsätzlich scheint mir, dass Menschen mit gutem Schlaf besser regenerieren und friedlicher sterben. Hypnotherapie ist in der Regel ein komplementäres Verfahren. Für die meisten Therapeuten wird es eine Selbstverständlichkeit sein, sich loyal zum Patienten zu verhalten und ihn vor Loyalitätskonflikten mit anderen Verfahren zu schützen. Gleichzeitig kann es aber eine therapeutische Aufgabe sein, Mängel des Gesundheitssystems auszugleichen. Gerade hierbei ist die Kommunikation im medizinischen Kontext von größter Wichtigkeit. Wenn eine Diagnose lediglich zur Folge hat, einen Patienten auf mögliche Frühsymptome zu fokussieren, ist dies ein Nocebo. Um dem gegenzusteuern, reichen kognitiv korrigierende Informationen oft nicht aus. Patienten, die sich in ähnlichen Situationen befinden, sagen in der Therapie zum Beispiel: „Ich höre Sie, aber Sie erreichen mich nicht. Ich sehe nur Dr. XY vor mir, der sagt: ,Achten Sie auf die Frühsymptome!’“ Wie anders wäre die Situation, wenn Dr. XY gesagt hätte: „Achten Sie besonders auf ein gesundes Leben und machen Sie das Beste aus jedem Moment!“ Angesichts des Nocebos aber muss die Hypnotherapie neben der kognitiven Information an der Herstellung eines Zustandes arbeiten, in dem die neue Information überhaupt wirksam werden kann. Diese Arbeitsweise nennt man auch De-Hypnose. Ein wichtiges Werkzeug sind Affektbrücken, um dann neue hilfreiche Suggestionen einfließen zu lassen. Hypnose als Bewältigungsstrategie ist ein wichtiges Mittel, mit dem sich unsere Klienten während medizinischer Behandlungen schützen und versorgen können. Die Strategie wurde im Abschnitt zu instrumenteller Trance beschrieben. Diese Arbeit kann auch außerhalb des Krankenhauses von dritten geleistet werden, wenn sie mit der Materie vertraut sind. Hierzu gehören insbesondere Anleitungen zur Selbsthypnose und konstruktive Aufklärungsgespräche.
Bitte erlauben Sie mir zum Abschluss einige persönliche Worte. Als Chirurgin war ich während eines Zeitraumes von zwanzig Jahren in drei verschiedenen Kliniken tätig, seit zehn Jahren arbeite ich in eigener Praxis hypnotherapeutisch. Die Arbeit mit Tumorpatienten war und ist regelmäßiger Teil in beiden Bereichen. In den letzten zehn Jahren habe ich viele ungewöhnliche, die Prognose weit in den Schatten stellende Verläufe gesehen, erheblich mehr, als ich es mir in den Jahren meiner klinischen Tätigkeit hätte vorstellen können. Ich halte das nicht für einen Zufall, sondern bin davon überzeugt, dass diese Erfolge auch einer ressourcenorientierten Begleitung zuzuschreiben sind, die gerade bei Tumorpatienten eine heilsame Sprache benutzt und mit den sich bietenden Möglichkeiten konstruktiv umgeht.
Dorothea Thomaßen, Phasen- und funktionsspezifische Strategien bei der Behandlung und Begleitung von Tumorpatienten, in Kommunikation in der Psychoonkologie, Hrsg. Elvira Muffler, Carl-Auer-Verlag 2015, S.96ff