Die Welt der Psychotherapie und des Coachings ist ständig in Bewegung, und immer wieder tauchen neue oder wiederentdeckte Ansätze auf, die unser Verständnis von Veränderungsprozessen erweitern. Eine solche Entwicklung sind die sogenannten Klopftechniken, die in Europa zunächst auf Skepsis stiessen, aber mittlerweile schon lange von führenden Experten anerkannt und weiterentwickelt wurden und fest in der Beratung und Therapie integriert sind.
Gunther Schmidt und die anfängliche Skepsis
Es ist bekannt, dass Gunther Schmidt, der Begründer des hypnosystemischen Ansatzes, die Klopftechniken nach Europa brachte und dafür anfangs „belächelt“ wurde. Er selbst erwähnte in seinen Ausführungen, dass diese Techniken mehr können, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Dennoch war der Ansatz für viele, einschliesslich einiger seiner Schüler, anfangs „zu schräg“. Schmidt zeichnet sich jedoch dadurch aus, verschiedene Therapie- und Coachingtechniken in ihren Grundideen zu vereinen und in seinen hypnosystemischen Kontext zu integrieren. Er sieht in den Klopftechniken eine Möglichkeit, Kompetenzen durch Körperstimulationen zu verankern und die Selbstwirksamkeit zu stärken.
Michael Bohne: „Klopfen und Winken reichen auch nicht!“
Michael Bohne hat die Prozess- und Embodimentfokussierte Psychotherapie (PEP) entwickelt, die die Klopftechniken entmystifiziert und sie gezielt mit anderen psychotherapeutischen Aspekten kombiniert. Sein Ausruf „Klopfen, Winken und so´n Zeug reichen auch nicht?!“ bei einer Tagung in Würzburg mag auf den ersten Blick provozierend wirken, ist aber zentral für sein Verständnis. Bohne argumentiert, dass Klopftechniken und andere sogenannte „Bottom-Up-Techniken“ wie EMDR oder Brainspotting dort zum Einsatz kommen, wo reines Reden an seine Grenzen stösst, insbesondere bei vorsprachlichen oder im limbischen System verankerten Themen.
Allerdings betont Bohne auch, dass diese körperbasierten Interventionen allein nicht ausreichen. Er kombiniert das Klopfen daher mit Elementen aus der Hypnotherapie, Verhaltenstherapie und systemischen Ansätzen. Zu PEP gehört beispielsweise der Kognitions-Kongruenz-Test (KKT), ein Instrument, das dazu dient, unbewusste Dynamiken und Blockaden aufzudecken. Ziel ist es, emotionale Erlebnisse heilsam zu „verstören“ und Belastendes zu aktivieren, um es dann zu verändern.
Braucht es immer beides?
Die Frage, ob es immer beides – Reden und körperbasierte Techniken – braucht, lässt sich mit Blick auf die Meinungen von Schmidt und Bohne mit einem klaren „Oft ja“ beantworten. Reden ist ein fundamentaler Bestandteil therapeutischer und beratender Arbeit, um Zusammenhänge zu verstehen, neue Perspektiven zu entwickeln und kognitive Umstrukturierungen zu ermöglichen. Doch bei tiefsitzenden Ängsten, Blockaden oder traumatischen Erfahrungen, die im Körpergedächtnis verankert sind, stösst das rein verbale Vorgehen oft an seine Grenzen.
Hier kommen die körperbasierten Techniken ins Spiel, die direkter auf das limbische System und autonome Körperreaktionen wirken können. Sie helfen, emotionales Erleben zu regulieren und festgefahrene Muster zu unterbrechen. Die Kombination aus beiden Ansätzen ermöglicht einen umfassenderen und nachhaltigeren Veränderungsprozess, indem sowohl die kognitive als auch die emotionale und körperliche Ebene adressiert werden.
Gunther Schmidts Anwendung und Verpackung der Klopftechniken
Gunther Schmidt integriert die Klopftechniken in seinen hypnosystemischen Ansatz, der davon ausgeht, dass Menschen autonome Selbstwirksamkeits-Kompetenzen besitzen und Symptome oder Problemerleben durch die Art der Beziehungsgestaltung zum Phänomen beeinflusst werden können. Er betrachtet den Körper als einen „ideomotorischen Kooperationspartner“, der zieldienlich genutzt werden kann.
Eine Übung, die Gunther Schmidt anwendet und typischerweise in seine systemische Denkweise verpackt, ist die Nutzung des Klopfens zur Verankerung von Ressourcen oder zur Destabilisierung von Problemtrancen. Anstatt das Klopfen als eine isolierte Technik zu präsentieren, bindet er es in einen grösseren Kontext der Selbstorganisation und der Nutzung unwillkürlicher Prozesse ein. Er könnte Klient:innen beispielsweise anleiten, sich auf eine gewünschte Ressource oder einen hilfreichen Zustand zu konzentrieren und währenddessen bestimmte Punkte am Körper zu beklopfen. Die „Verpackung“ erfolgt dabei immer im Sinne der Wertschätzung der unbewussten Kompetenzen des Klient:innen und der Schaffung von Wahlmöglichkeiten. Er würde betonen, dass es nicht darum geht, etwas „wegzuklopfen“, sondern vielmehr darum, dem Gehirn neue Informationen und Optionen anzubieten, um alte, dysfunktionale Muster zu unterbrechen. Der Klient wird dabei als Experte für seine eigene Veränderung gesehen, und das Klopfen dient als eine Art „Turbo-Induktion“ oder „Verankerung“ für gewünschte Zustände.
Fazit
Die Tagung mit dem Thema „Reden reicht auch nicht“ und Michael Bohnes Ergänzung „Klopfen, Winken und so´n Zeug reichen auch nicht?!“ greifen eine spannende und wichtige Diskussion auf. Es zeigt sich, dass eine holistische Herangehensweise, die kognitive Prozesse mit körperbasierten Interventionen verbindet, oft der Schlüssel zu tiefgreifender und nachhaltiger Veränderung ist. Gunther Schmidt und Michael Bohne haben massgeblich dazu beigetragen, die anfängliche Skepsis gegenüber Klopftechniken abzubauen und sie als wertvolle Ergänzung in die psychotherapeutische Praxis zu integrieren. Es geht nicht um ein Entweder-Oder, sondern um ein Sowohl-als-Auch, um das volle Spektrum menschlicher Veränderungsprozesse optimal zu nutzen.
=> Gerne möchten wir uns diesem Thema nun vertieft widmen – an unserer Tagung am 17./18.9.27 mit dem Titel (von Michael Bohne): Klopfen, Winken und so´n Zeug reichen auch nicht?!
Und auch im neuen Jahresangebot vom wilob wird es spannende Workshops und Weiterbildungen dazu geben. Denn reden und schreiben darüber reicht nicht…