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Rückblick: Neurobiologie erklärt Lösungsorientierung!

Die vergangenen Jahrzehnte brachten einen explosionsartigen Wissenszuwachs in der neurobiologischen Grundlagenforschung. Dr. Daniel Mentha hat vor einiger Neurobiologie, wie sie sich heute präsentiert, aus lösungsorientierter Therapeutenperspektive untersucht. Folgenden Fragen ist er nachgegangen:


A. Welche unserer lösungsorientierten Grundannahmen und Methoden finden im Licht der
modernen Neurobiologie eine Abstützung?
B. In welche Richtung laden uns die neurobiologischen Forschungsergebnisse ein, unser
methodisches Werkzeug auszubauen?
C. Gibt es lösungsorientierte Grundannahmen oder Methoden, die im Licht der modernen
Neurobiologie revidiert werden müssen?

Damit diese Fragen untersucht werden können, ist es nützlich, zunächst die Lösungsorientierung auf ihre Kernaussagen und zentralen Werkzeuge herunter zu brechen. Hierzu fünf Thesen:

  1. Lösungsorientierung begegnet den Klient:innen als autonomen Expert:innen in eigenen Angelegenheiten (Ziele, Probleme, Sichtweisen).
  2. Lösungsorientierung geht davon aus, dass Menschen über Ressourcen verfügen – in der Regel über mehr als ihnen bewusst sind – und dass sie diese Ressourcen (mit Hilfe der Therapie / Beratung) noch besser nutzen können.
  3. Lösungsorientierung geht davon aus, es sei leichter Neues ( Verhalten / Erleben ) auf- oder auszubauen als Altes zu beenden.
  4. Die zentralen methodischen Werkzeuge der Lösungsorientierung liegen in der konsequenten Klärung attraktiver Zukünfte mit den Klient:innen und in der Thematisierung und im Ausbau von Ausnahmezeiten.
  5. Diese Werkzeuge werden durch wertschätzende Komplimente und gelegentlich durch
    lösungsorientierte Therapieexperimente («Hausaufgaben») verstärkt.

Neuroplastizität

Neuroplastizität meint, dass das Gehirn seine Struktur und seine damit zusammenhängende Funktion laufend verändert, der gemachten Erfahrung anpasst. In funktioneller Hinsicht wächst das Gehirn also an den durch die Person gemachten Erfahrungen. Ursprünglich war das Konzept der Neuroplastizität 1949 durch den kanadischen Neurobiologen Donald Hebb postuliert worden (Donald Hebb: «The Organisation of Behaviour». Wiley, New York, 1949), zu einem Zeitpunkt, wo noch keine Möglichkeit bestand, diese Theorie zu verifizieren oder zu falsifizieren. Hebbs Gedanke war, dass die Übertragungsbereitschaft an neuronalen Synapsen zunimmt, je öfter sie gebraucht werden. Synapsen sind diejenigen Bereiche, wo
zwei Nervenzellen miteinander Verbindung aufnehmen und wo sich die elektrisch fortgeleiteten Nervenimpulse – durch sogenannte Botenstoffe vermittelt – chemisch von der einen auf die andere Nervenzelle überleiten. Schlagwortartig drückte Hebb dies aus mit dem Satz: « Cells that fire together wire together» (Zellen, die gemeinsam feuern, verdrahten sich). Heute ist man in der Lage die Neuroplastizität mit bildgebenden Verfahren am lebenden Gehirn nachzuweisen und man kann genau beschreiben, was in mikrostruktureller und in biochemischer Hinsicht passiert, das dazu führt, dass sich Synapsen durch Gebrauch bahnen, so dass sie immer leichter auslösbar werden. Neurobiologisch gründen also Lernen und Veränderung auf der Neuroplastizität. «Lernen besteht nach verbreiteter Auffassung in der Verstärkung synaptischer Verbindungen zwischen Neuronen» (Joseph LeDoux: Das Netz der Gefühle, dtv, München 2001, S 229). Dabei geht es nicht bloss um einzelne Synapsen sondern um kleinere oder grössere sogenannte neuronale Netzwerke, welche durch Hebbs Prinzipien installiert und gebahnt werden. Sie bestimmen unser Erleben und unser Verhalten. Verändertes Erleben und Verhalten entspricht strukturell und funktionell veränderten neuronalen Netzwerken.

Dieser Satz funktioniert in beiden Richtungen: Durch neues Verhalten / Erleben installieren wir neue neuronale Netzwerke, die, wenn sie regelmässig gebahnt werden, wiederum die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass dieses Erleben und Verhalten leichter gezeigt werden kann und wird.

Was heisst dies nun in Bezug auf die eingangs gestellten Fragen?

Wenn Neuroplastizität bedeutet, dass Veränderung biologisch durch erfahrungsbegründete neuronale
Bahnungsprozesse zu Stande kommt, so folgt daraus, Therapie / Beratung müsse darauf aus sein, den Klient:innen Erfahrungen zu ermöglichen, die in die Richtung der Therapie- oder Beratungsziele der Klienten weisen. Steve de Shazer: «If something works, do more of it and if something doesn’t work, do something else». Klient:innen sollen eingeladen werden, mehr dessen zu tun, was in Richtung auf ihre Ziele weist. Dadurch machen ihre neuronalen «Lösungsnetzwerke» die Art Erfahrung, die zu ihrer verbesserten Bahnung führt, und die «Problemnetzwerke» verkümmern und verlieren an Einfluss. Ausserdem sollen Klient:innen eingeladen werden, etwas anderes zu tun, als sich dem Sog der Problemnetzwerke auszuliefern, Etwas anderes tun im Problemkontext aktiviert automatisch andere neuronale Netzwerke als diejenigen, die unser Problemerleben und -verhalten prägen. Auch das Konzept der Ausnahmen und die Methoden, wie diese therapeutisch genutzt und verstärkt werden können findet eine Bestätigung. Ausnahmen beruhen ja neurobiologisch auf neuronalen Netzwerken, welche der Person Verhaltens- und Erlebensoptionen zur Verfügung stellen, die in Richtung ihrer Ziele weisen.

Wenn wir den aktuellen Stand des Wissens über Neuroplastizität noch etwas weiter ausloten, finden wir weitere interessante Ergebnisse: Es braucht nicht immer eine real gemachte Erfahrung zu sein, die neuroplastisches Lernen auslöst, obwohl diese sicher nützlich ist. Auch imaginative Erfahrungen haben neuroplastischen Impact. Die Neurobiologen sprechen in diesem Zusammenhang von so genannten «Als – ob Schleifen». Das Gehirn behandelt Imaginiertes, als ob es sich um reale Erfahrungen handeln würde. So konnte z. B. nachgewiesen werden, dass sich der Bereich der Hirnrinde, der für die Motorik der Finger
zuständig ist, fast in gleichem Ausmass vergrösserte, wenn Versuchspersonen sich während zwei Wochen täglich zwei Stunden lang vorstellten, sie würden Klavier spielen, verglichen mit denjenigen die dies tatsächlich taten (Maja Storch, Frank Krause: «Selbstmanagement – ressourcenorientiert» Hans Huber, Bern, 2003, S. 118).

Steves Aussage: „Problem – Talk creates Problems, Solution – Talk creates Solutions“ ist also neurobiologisch begründbar. Reden über Ziele und Ausnahmen in einer Art, die den Klienten hilft, ihre Ziele und ihr Ausnahmeverhalten möglichst vielfältig, intensiv und konkret zu erfahren, während sie in der Therapiesitzung darüber reden (zum Beispiel an Hand der Wunderfrage oder der Frage nach hypothetischen Ausnahmen), wird so zu einem biologischen Therapieverfahren. Natürlich gilt dies auch für das konkrete Beobachten und Zeigen von Ziel- und Ausnahmeverhalten zwischen den Sitzungen. Darüber hinaus regen diese Ergebnisse dazu an, – hier wechsle ich zur Frage B -, im Interview vermehrt auch imaginative Methoden einzusetzen und zu entwickeln.


Neuronale Netzwerke sind multicodiert. Damit ist gemeint, dass die Erregungsmuster, die sie ausmachen, über verschiedene Teilaspekte der gesamten, in ihnen repräsentierten Erfahrung aktiviert werden können. Je besser sie gebahnt sind, desto partieller der Teilaspekt der Erfahrung, der nötig ist, um das gesamte Muster zu aktivieren (und dadurch zu verstärken). Solche Teilaspekte sind z B. einzelne mit der Erfahrung verbundene Sinneseindrücke, sprachlich – kognitive Aspekte, emotionale Aspekte, Körpergefühle, Metaphern etc. Also auch hier: Vorgehensweisen, welche anstreben, Zielverhalten, Ausnahmeverhalten oder Ressourcen indirekt anzuspielen, – metaphorisch, durch passende Geschichten oder Anekdoten, durch Erkunden von Sinneskanälen, die mit der Zielerfahrung verbunden sind -, erhalten eine zusätzliche Begründung. Daneben, verstehen wir nun Steves Radikalität, mit der er immer wieder auf die Schädlichkeit von Problem – Talk hinwies, besser. Wir müssen davon ausgehen, dass die mit den Problemen der Klient:innen korrelierenden neuronalen Netzwerke gut gebahnt sind. Also lassen sie sich auf Grund der Multi-Codierung leicht aktivieren und im Zusammenhang mit dem Reden über das Problem und um das Problem herum, ist Vorsicht am Platz. Da wir die Klient:innen ja nicht daran hindern können, mit uns über ihre Probleme reden zu wollen, könnte es nützlich sein, wenn wir uns vermehrt Gedanken machen, wie wir damit auf unschädliche Art umgehen können. Also neben dem Fokus auf den Ausbau von Lösungsnetzwerken auch ein Fokus darauf, wie wir vermeiden, die Problemnetzwerke
unabsichtlich zu verstärken.


Neuronale Netzwerke können sowohl hierarchisch als auch parallel arbeiten. Hierarchisch übergeordnet repräsentieren sie übergreifende Themen, welche „imstande sind, langfristige und umfassende Handlungsabfolgen zu dirigieren“ (Storch und Krause, siehe oben, S. 37). Daneben müssen sie auch parallel arbeiten können, damit wir unseren komplexen normalen Alltag bewältigen können und die genannten umfassenden Handlungsabfolgen in realen Lebenskontexten umgesetzt werden können. Dem entspricht in der Lösungsorientierung, der konsequente Aufbau des Vorgehens mit der Etablierung von konkreten, kraftvollen und attraktiven übergreifenden Zielvisionen am Anfang und der anschliessenden Aktivierung zahlreicher Teilschritte und Teilaspekte dieser übergeordneten Zielvision in Form von
Ausnahmen, Schritten, hypothetischen Ausnahmen, Teilaspekten der Ausnahmen, Erlebens- und Sichtweisen etc. Erstere würden auf neuronalen Netzwerken beruhen, die in hierarchisch übergeordneter Weise den Prozess strukturieren, während letztere in Form zahlreicher Netzwerke, die parallel arbeiten, die Koordinierung und Feinabgleichung der verschiedenen kognitiven, emotionalen, verhaltens-mässigen, interaktiven und körperlichen Teilprozesse repräsentieren, welche die Konkretisierung des Veränderungsprozesses erst ermöglichen.


Etwas Weiteres ist für uns von Interesse. Es scheint so, dass neuroplastisch gespeicherte Erfahrungs-/ Verhaltensmuster nicht aktiv gelöscht werden können. Nachgewiesen ist dies zum Beispiel für den Bereich der Angst, jedoch gilt es wohl auch für andere klinische Problemstellungen. Angst stellt ja nicht nur ein überlebenswichtiges Gefühl dar, welches uns hilft, indem es uns vor Gefahren warnt, sondern sie kann quasi vom Haustier zum Raubtier werden und uns das Leben schwer machen, wo dies nicht nötig wäre. Nun meint LeDoux, der eine neurobiologische Angsttheorie verfasst hat, dass neuronale Netzwerke, welche die pathologische Angstreaktion repräsentieren, nicht gelöscht, sondern bloss durch
alternative, adaptivere Netzwerke überschrieben werden können, welche für die vorgängig angstbesetzten Situationen nützlichere kognitive, emotionale, somatische und verhaltensmässige Reaktionsweisen bereitstellen.

Lösungsorientierte Therapeut:innen würden in diese Zusammenhang von Lösungen sprechen. Wir wissen ja, dass Lösungen nicht darin bestehen, Altes und Problematisches zu beenden, sondern darin Neues, im Kontext des bisher Unbefriedigenden Befriedigenderes aufzubauen. Nun haben wir eine biologische Erklärung dafür, weshalb dies so ist. Was klingt hier an?

Wenn Problemnetzwerke nicht gelöscht werden können, braucht die Therapie dies auch nicht zu versuchen. Versuche dies zu tun, würden nicht nur scheitern, sondern sie beinhalten zusätzlich das Risiko, das Problem zu verstärken. Es leuchtet dann auch unmittelbar ein, dass die Logik der Lösung nicht zwingend auf der Logik des Problems beruhen muss. Wenn wir das Problem nicht löschen können, brauchen wir uns bei der Suche nach adaptiveren Alternativen nicht durch enge Nähe zu den Problemmechanismen einschränken zulassen. Was wir brauchen sind Netzwerke, welche die Klienten in die Lage versetzten, im Kontext des Problemerlebens /Problemverhaltens neue Strategien anzuwenden. Diese werden vermutlich leichter aktivierbar sein, wenn bereits vorhandene Fähigkeiten und Ressourcen (die ja auf neuronalen Netzwerken beruhen) ausgebaut werden, statt das versucht wird, Problemnetzwerke zu schwächen, indem ein neuronales Gegennetzwerk aufgebaut wird. Die geneigte Leser:in wird sich hier an die therapeutischen Vorgehensweisen von Milton Erickson erinnern.

Und eine weiteres: Da das Gehirn lebenslang nichts anderes macht, als Erfahrungen neuroplastisch zu speichern, damit sie für zukünftige Aufgaben verfügbar und nutzbar sind, wird auch unmittelbar klar, dass jedes Gehirn zahllose positive oder sonst wie nützliche Erfahrungen gespeichert haben muss (= Ressourcen). Dies gilt unabhängig davon, ob die Person im Laufe ihres Lebens auch viele leidvolle oder traumatisierende Erfahrungen gemacht und neuroplastisch gespeichert hat. Jedenfalls macht aus dieser Optik ein Therapievorgehen, das stark darauf fokussiert, solche Ressourcen zu entdecken und zu nutzen, statt zu versuchen die Problemnetzwerke zu schwächen, Sinn. Wenn es stimmt, dass wir nichts tun können, um Problemnetzwerke aktiv zu schwächen, ausser sie durch Mangel an Aktivierung verkümmern zu lassen, ist es sinnvoller, diejenigen Netzwerke zu stärken, die der Person im Kontext, der bisher von Problemnetzwerken dominiert wurde, attraktivere Alternativen anbieten können.


Neuroplastizität ist ein zentrales Konzept, welches uns die Funktionsweise des Gehirns verstehen lässt. Neuroplastizität besteht lebenslang, allerdings dürfte sie im Laufe des Älterwerdens abnehmen. Kinder verfügen ja auch über eine deutlich höhere Fähigkeit, Neues zu lernen. Auch ist anzunehmen, dass gewisse Funktionen (z. B. die Fähigkeit sich Gesichter zu merken) stärker und schneller neuroplastisch reagieren als andere (z. B. die Fähigkeit oben und unten zu unterscheiden). Hier taucht nun meines Erachtens zum ersten Mal ein Thema auf, das unsere bisherigen lösungsorientierten Prämissen nur teilweise bestätigt. An sich bedeutet die höhere Plastizität des kindlichen Gehirns, dass auch therapeutisch in diesem Alter vieles schneller möglich ist. Andererseits funktioniert das Gehirn, wie alles in der Biologie nach dem Prinzip des Recyclings und durch Aufbau von Neuem auf bereits Vorbestehendem. Es ist daher logisch anzunehmen, dass frühe neuroplastisch abgespeicherte Erfahrungen quasi die Matrizen abgeben, auf denen später weiter gebaut und differenziert wird. Die ursprünglich psychoanalytische These von der grossen Bedeutung der frühen Kindheit für späteres Schicksal und Erfolg dürfte also im Wesentlichen stimmen. Es könnte sein, dass frühe problematische Erfahrungen nicht nur als solche neuroplastisch gespeichert bleiben, sondern weitere Erfahrungen ordnen. Wenn ich beispielsweise als Kleinkind mein Beziehungserleben mit einem neuronalen Netzwerk starte, das versprachlicht etwa lautet: „Ich kann nicht geliebt und verstanden werden“, so wird dies mein weiteres Leben und auch die weitere neuroplastische Ausdifferenzierung meiner Erfahrungen und Erwartungen, Befürchtungen in Beziehungen prägen. Vermutlich wurden diese Zusammenhänge im bisherigen lösungsorientierten Diskurs zu wenig beachtet.

Spannend ist die Frage, wie das Gehirn „entscheidet“, was es lernen will und was nicht. Über Sinneseindrücke aber auch über innere mentale Vorgänge ist es ja ständig mit einer riesigen Datenflut konfrontiert. Deren ungefilterte Speicherung einfach nach dem Prinzip der Quantität, würde keinen Sinn machen. Hier scheint es so, dass wiederum die bereits erwähnten Botenstoffe ins Spiel kommen. Zwei scheinen eine besondere Rolle zu spielen: Noradrenalin und Dopamin. Noradrenalin wird produziert und über weite Teile des Gehirns ausgeschüttet, wenn die Person / der Organismus sich mit einer ungewöhnlichen, aber als prinzipiell bewältigbar eingeschätzten Herausforderung konfrontiert sieht, also mit einer als bewältigbar eingeschätzten Stresssituation (vgl. dazu: Gerald Hüther: „Biologie der Angst. Wie aus Stress Gefühle werden“; Vandenhoeck und Ruprecht, 7. Aufl. Göttingen 2005).

Dopamin, welches im Übrigen das über Endorphine vermittelte neuronale Belohnungssystem aktiviert, wird ausgeschüttet, wenn eine Situation vom Organismus als besser bewertet wird, als erwartet. (Manfred Spitzer: „Neuronale Netzwerke und Psychotherapie“ in: Günter Schiepek Hg.: „Neurobiologie der Psychotherapie“, S 42 – 57; Schattauer, Stuttgart 2003). Beides wird wohl oft zusammenhängen. Indem ich mich mit einer stressenden, vielleicht ängstigenden Belastungssituation konfrontiert sehe, sie unter dem Einwirken von Noradrenalin (im Gehirn) und Adrenalin (in der Körperperipherie) bewältige, bewirke ich die
positive Überraschung des „Besser als erwartet / befürchtet“ und ein damit zusammenhängendes gutes Gefühl (siehe Belohnungssystem). Nun scheint es gemäss den zitierten Autoren so, dass neuroplastische Prozesse an den Synapsen verstärkt ablaufen, wenn diese Synapsen mit Noradrenalin oder mit Dopamin in Kontakt kommen. Es macht natürlich Sinn, dass solche Erfahrungen privilegiert ausgewählt werden, um sie neuroplastisch einzuspeichern, sind sie doch für zukünftige „Bewährungsproben“ besonders relevant. Und das ist der „Job“ des Gehirns: Die Person auf Grund gespeicherter Erfahrungen in die Lage zu versetzen, sich in möglichst vielen zukünftig denkbaren Szenerien erfolgreich, gesundheitsförderlich und subjektiv befriedigend zu bewähren. Gleichzeitig erklären diese Mechanismen, wie es überhaupt möglich ist, dass auch im Kontext von eingefahrenem Problemverhalten / -erleben rasch Veränderung möglich ist.

Hier klingt natürlich vieles an, was wir täglich tun und was uns selbstverständlich geworden ist: Ziele sollten für die Klienten wichtig und bedeutsam sein. Sie müssen realistisch sein, erreichbar durch „harte Arbeit“. Wir sollen uns als Therapeut:innen / Berater:innen darum bemühen, Hoffnung zu sähen und den Klientinnen die Erfahrung von Selbstwirksamkeit ermöglichen. Soweit zum Thema Noradrenalin: Salopp ausgedrückt sind dies alles „Noradrenalintechniken“. Wir geben Komplimente, die von den Klienten als echt, anschlussfähig aber auch als positive Überraschungen wahrgenommen werden sollten. Dies wäre ein Beispiel für eine „Dopamintechnik“. Und natürlich entspricht das Konzept der Ausnahmen sprachlich dem erwähnten “ besser als erwartet / befürchtet“. Das heisst: Wenn, im Interview oder zwischen den Sitzungen, (siehe „Hausaufgaben“) die Erfahrung einer Ausnahme von den Klient:innen als bedeutsam wahrgenommen wird, löst dies eine Dopaminausschüttung im Gehirn aus, welche dazu führt, dass diese Erfahrung unmittelbar und verstärkt neurolastisch eingespeichert wird.


Sowohl die Grundannahme des Expertentums der Klient:innen als auch die Grundannahme unserer Ressourcengläubigkeit lässt sich neurobiologisch begründen. Neuroplastizität bedeutet, dass jedes Gehirn auf Grund der durch die Person gemachten Lebenserfahrungen einzigartig und reich sein muss. Der Reichtum an gespeicherter Erfahrung verweist auf die Ressourcen und die Einzigartigkeit bringt es mit sich, dass wir nie wirklich besser erfassen können, was eine Person denkt, empfindet und braucht, als diese selbst. Insofern bestätigt die Neurobiologie auch, dass lebende Systeme autonom sind.

Daniel Mentha; Dr. med., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH. Ehemaliger Ausbildungsleiter wilob, Lenzburg

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