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Zeitmanagement neu gedacht

Oder: Warum wir aufhören sollten, die Zeit zu managen – und stattdessen unsere Aufmerksamkeit steuern lernen

Die Zeitmanagement-Falle

Kennst du das? Du arbeitest eine To-Do-Liste ab, optimierst deine Abläufe, nutzt die neueste Produktivitäts-App – und trotzdem bleibt dieses nagende Gefühl: Zu viel zu tun, zu wenig Zeit.

Wir leben in einer Kultur der Zeitoptimierung. Überall begegnen uns Ratschläge: „Nutze die Pomodoro-Technik!“, „Priorisiere nach Eisenhower!“, „Batche deine E-Mails!“ Und ja, diese Methoden können hilfreich sein. Aber was, wenn wir das Problem grundsätzlich falsch angehen?

Was, wenn das eigentliche Problem nicht die Zeit ist – sondern wie wir über Zeit denken?

Gunther Schmidt, Arzt, Volkswirt und Begründer des hypnosystemischen Ansatzes, bietet eine radikal andere Perspektive. Sein Ansatz verbindet systemisches Denken mit hypnotherapeutischen Konzepten nach Milton Erickson und fragt: Wie erschaffen wir durch unsere Aufmerksamkeit unsere Wirklichkeit?

Die zentrale Einsicht:

„Wir können die Zeit nicht managen. Aber wir können unsere Aufmerksamkeit steuern – und damit unser Zeiterleben grundlegend verändern.“

Zeit ist keine objektive, neutrale Größe, die wir kontrollieren müssen. Zeit ist ein subjektives Erleben, das wir aktiv mitgestalten.

Von der Problemtrance zur Lösungstrance

Ein Schlüsselkonzept von Schmidt: Problemtrance vs. Lösungstrance.

Was ist eine Problemtrance?

Wenn wir uns gestresst fühlen, verfallen wir oft in einen Zustand, den Schmidt „Problemtrance“ nennt:

  • Wir fokussieren ausschließlich auf das, was nicht funktioniert
  • Unser Denken wird eng und repetitiv
  • Wir erleben uns als Opfer der Umstände
  • Typische innere Dialoge: „Ich schaffe das nie!“, „Die Zeit rennt mir davon!“, „Ich bin völlig überlastet!“

Diese Problemtrance ist wie ein selbstverstärkender Sog: Je mehr wir uns auf Zeitdruck konzentrieren, desto stärker erleben wir ihn – und desto weniger Zugang haben wir zu unseren Ressourcen und kreativen Lösungen.

Der Wechsel zur Lösungstrance

Hypnosystemisches Zeitmanagement bedeutet: Bewusst in eine Lösungstrance wechseln.

Statt zu fragen: „Warum habe ich nie genug Zeit?“
Fragen wir: „Wann erlebe ich Zeit als erfüllend und stimmig?

Statt zu denken: „Ich muss noch mehr optimieren!“
Denken wir: „Was funktioniert bereits gut in meinem Umgang mit Zeit?

Praktische hypnosystemische Zeitmanagement-Prinzipien

1. Aufmerksamkeitsfokus statt Zeitkontrolle

Das Problem: Wir versuchen, die Zeit zu kontrollieren – was unmöglich ist.

Der hypnosystemische Weg: Wir lenken unsere Aufmerksamkeit bewusst.

Praktische Übung:

  • Beobachte heute: Bei welchen Tätigkeiten „vergisst“ du die Zeit?
  • Was ist bei diesen Tätigkeiten anders?
  • Wie könntest du mehr von dieser Qualität in deinen Tag integrieren?

2. Kompetenzfokus: Was läuft bereits gut?

Statt ständig auf Defizite zu schauen, richtet der hypnosystemische Ansatz den Blick auf vorhandene Kompetenzen.

Unterschiedsfragen (ein systemisches Werkzeug):

  • „Wann heute habe ich mich zeitlich gut gefühlt – und was war da anders?“
  • „An welchem Tag diese Woche war mein Zeiterleben am angenehmsten?“
  • „Was mache ich in diesen Momenten anders?“

Diese Fragen aktivieren automatisch Ressourcen statt Probleme.

3. Das Utilisationsprinzip: Nutze, was ist

Ein zentrales Konzept der Erickson’schen Hypnotherapie, das Schmidt integriert: Nutze alles, was da ist – auch vermeintliche Hindernisse.

Beispiel Zeitdruck:

  • Statt gegen Zeitdruck anzukämpfen, frage: „Wozu könnte dieser Zeitdruck gut sein?“
  • Vielleicht schärft er deinen Fokus
  • Vielleicht zeigt er dir, was wirklich wichtig ist
  • Vielleicht lehrt er dich, schneller Entscheidungen zu treffen

Reframing: Zeitdruck ist nicht der Feind – er ist ein Signal, das uns etwas zeigen will.

4. Mehrebenenmodell: Zeit als Symptom

Oft sind Zeitprobleme nur die Oberfläche eines tieferen Themas.

Hypnosystemisch betrachtet gibt es verschiedene Ebenen:

  1. Verhaltensebene: Wie gehe ich konkret mit Zeit um?
  2. Fähigkeiten: Kann ich Nein sagen? Kann ich priorisieren?
  3. Überzeugungen: „Ich muss immer erreichbar sein“, „Pausen sind Zeitverschwendung“
  4. Werte: Was ist mir wirklich wichtig im Leben?
  5. Identität: Wer bin ich – jenseits meiner Leistung?

Die entscheidende Frage: „Wenn ich kein Zeitproblem mehr hätte – welches andere Thema würde dann sichtbar werden?“

Oft geht es nicht wirklich um Zeit, sondern um:

  • Schwierigkeiten, Grenzen zu setzen
  • Mangelnde Klarheit über Prioritäten
  • Angst, nicht genug zu sein
  • Fehlende Verbindung zu eigenen Werten

5. Zirkuläre Fragen: Perspektivwechsel

Systemisches Denken nutzt zirkuläre Fragen, um aus der eigenen Perspektive herauszutreten:

  • „Wenn dein bester Freund beobachten würde, wie du mit Zeit umgehst – was würde er sagen?“
  • „Wer in deinem Umfeld würde als Erstes bemerken, dass du entspannter mit Zeit umgehst?“
  • „Was würde dein 80-jähriges Ich dir heute über Zeitmanagement sagen?“

Diese Fragen erweitern den Lösungsraum und holen uns aus der Problemtrance.

Die radikale Frage: Wofür will ich meine Lebenszeit nutzen?

Der hypnosystemische Ansatz führt uns letztlich zu einer existenziellen Frage:

Es geht nicht darum, mehr zu schaffen. Es geht darum, das Richtige zu tun.

Gunther Schmidt würde fragen:

  • „Worauf richtest du deine begrenzte Lebenszeit und Aufmerksamkeit?“
  • „Was will durch dich in die Welt kommen?“
  • „Wie willst du gelebt haben – wenn du zurückschaust?“

Diese Fragen sind unbequem. Aber sie sind heilsam.

Denn echtes Zeitmanagement ist keine Technik. Es ist eine Haltung.

Vom Zeitmanagement zum Aufmerksamkeitsmanagement

Praktische Schritte für deinen Alltag:

1. Morgendliche Intention Statt sofort in den Tag zu hetzen, frage dich:

  • „Worauf will ich heute meine Aufmerksamkeit richten?“
  • „Was ist heute wirklich wichtig?“

2. Bewusste Pausen als Lösungstrance Nutze Pausen nicht als „verlorene Zeit“, sondern als bewusste Aufmerksamkeitssteuerung:

  • 3 Minuten bewusstes Atmen
  • Kurzer Spaziergang ohne Smartphone
  • Momente des „Nichtstuns“ als Ressource

3. Abendritual: Kompetenzfokus Statt abends zu denken „Was habe ich alles nicht geschafft?“, frage:

  • „Was ist heute gut gelaufen?“
  • „Wann hatte ich heute ein gutes Zeitgefühl?“
  • „Was möchte ich morgen davon wiederholen?“

4. Wöchentliche Reflexion Einmal pro Woche:

  • „Wofür habe ich diese Woche meine Zeit genutzt?“
  • „Entspricht das meinen Werten?“
  • „Was will ich nächste Woche anders machen?“

Fazit: Zeit ist kein Problem – sie ist ein Geschenk

Der hypnosystemische Ansatz von Gunther Schmidt lädt uns ein, Zeitmanagement radikal neu zu denken:

Nicht die Zeit managen – die Aufmerksamkeit steuern
Nicht gegen Zeitdruck kämpfen – ihn als Signal nutzen
Nicht Defizite optimieren – Kompetenzen aktivieren
Nicht mehr schaffen – das Richtige tun

Die Wahrheit ist: Wir werden nie „genug Zeit“ haben. Aber wir können lernen, bewusster zu wählen, wofür wir unsere begrenzte Lebenszeit nutzen.

Das ist keine Technik, die man in 5 Schritten lernt.
Das ist eine Lebenshaltung, die wir täglich kultivieren.