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Zurück aus der Zukunft

Von Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp

„Schaut weit voraus auf den Punkt in der Zukunft, von dem aus ihr zurückschaut.“ (Milton Erickson)

Kurzbeschreibung

Ein gemeinsamer Ausflug in die Zukunft – und wieder zurück: Am Beginn eines Projekts oder Vorhabens begeben wir uns gemeinsam gedanklich in die Zukunft und beschreiben möglichst detailliert die erfolgreiche Umsetzung des Projekts oder Vorhabens. Anschließend „erinnern“ wir uns daran, wie wir diesen Erfolg erarbeitet haben und entwickeln im Rückblick Ratschläge an andere Kollegen in ähnlichen Situationen. Sobald wir wieder zurück aus der Zukunft sind, planen wir die ersten Schritte des weiteren Vorgehens.

Anwendungsbereiche

Geeignet für die Beratung eines mehr oder weniger komplexen Vorhabens, insbesondere bei Projekten und Unternehmungen, die von mehreren Beteiligten gemeinsam geplant werden – auch und gerade dann, wenn man am Beginn steht und vielleicht noch wenig Ideen hat, wie man vorgehen könnte. Besonders geeignet für Teams in der Supervision oder kollegialen Beratung, aber auch in der Einzelsupervision. Bei mehreren Teilnehmern – die am besten alle ein eigenes Interesse an der Vision haben – fällt es besonders leicht, auf viele unterschiedliche Ideen zu kommen.

Zielsetzung / Effekte

Wenn ein Vorhaben „wie ein Berg“ vor einem steht, man wenig Vorstellungen davon hat, wie man vorgehen könnte und möglicherweise zu viele Widerstände befürchtet werden, ist es hilfreich, zunächst vom Zielzustand auszugehen und sich in einem Rollenspiel auch zeitlich dorthin zu versetzen. Aus der Perspektive des Erfolgs konstruiert man diese Situation ausführlich und bis ins Detail. In dieser entspannten, bisweilen auch heiteren Atmosphäre kann man sich leichter an die Entwicklung und die eigenen Beiträge zum Erfolg erinnern – und sogar anderen Tipps geben, was sie von einem lernen können.

Zurück aus der Zukunft stellt man fest, dass man sich soeben selbst beraten hat – und dass einige der entwickelten Ideen und Vorstellungen jetzt nur noch angegangen zu werden brauchen: Der „Berg“ ist geschrumpft oder wird als Herausforderung und zwischenzeitlicher Höhepunkt begriffen. Es handelt sich um eine vorübergehende „Lösungstrance“, die ähnlich wie die „Wunderfrage“ von Insoo Kim Berg und Steve de Shazer ausführlich die Lösungsvorstellungen der Supervisanden erarbeitet, dann aber auch genau und detailliert deren eigene Ideen zum Erreichen der Zielvorstellung hervorlockt.

Auftragsklärung, Einladung zum Mitmachen

Anlass kann der Wunsch eines Teams sein, ein bestimmtes Projekt erfolgreich durchzuführen, bevorstehende Schwierigkeiten zu meistern, unüberwindliche Hindernisse zu überwinden …
Der/die Supervisor:in schlägt mit einem Lächeln „ein kleines Spiel“ oder „ein Experiment“ vor und fragt, ob alle bereit sind, sich für ca. eine halbe Stunde darauf einzulassen. Nur für den Fall, dass die Supervisanden zögern, erläutert er kurz das weitere Vorgehen (ohne allzu sehr ins Detail zu gehen, er lässt noch Raum für neugierige Erwartung – bei allzu großem Zögern zieht er seinen Vorschlag zurück). Er bittet alle, für zwei Minuten aus dem Raum zu gehen (dabei ihre Plätze zu räumen, so dass sie sich beim Hereinkommen an einen anderen Platz als bisher setzen können). In der Zwischenzeit malt er auf eine Tafel ein Kalenderblatt mit dem Datum des Tages genau in einem Jahr. Wichtig sind dabei der (richtige, vorher nachgeschlagene) Wochentag und vor allem das Jahr.

Beginn des Rollenspiels/Konstruktion der „Lösungstrance“

Wenn die Supervisionsgruppe zurück in den Raum kommt, beginnt das Rollenspiel, indem der/die Supervisor:in zu spielen beginnt: „Willkommen, ich freue mich, dass wir uns hier heute treffen. Wir haben heute den …“ (er / sie zeigt auf das Kalenderblatt und betont insbesondere das Jahr). „Wie Sie sich vielleicht erinnern, haben wir heute vor einem Jahr in der Supervision zusammengesessen und uns Gedanken zu Ihrem Projekt der Verbesserung der Teamsitzungen/der Teamatmosphäre/der Auslastung/der Kommunikation mit dem Kostenträger/der Weiterentwicklung der Konzeption … gemacht.
Nun haben Sie mich ja netterweise kürzlich angerufen und erzählt, dass Sie ziemlich erfolgreich dabei waren und im Grunde noch mehr erreicht haben, als Sie sich damals vorgenommen haben. Daraufhin habe ich Sie gebeten, mit mir eine Auswertungssitzung zu machen, da ich gerade ein anderes Team mit einer ähnlichen Fragestellung berate. Sie waren so freundlich, mir gleich zuzusagen, dafür danke ich Ihnen sehr.“

Erste Frage: Wie sieht die Situation heute aus?

„Ich möchte Ihnen im Laufe dieser Sitzung eigentlich nur drei Fragen stellen, hoffe allerdings, dass ich möglichst viele und ausführliche Antworten von Ihnen erhalte. Die erste Frage lautet natürlich: Wie sieht es denn jetzt bei Ihnen aus?Bitte beschreiben Sie mir doch Ihren Erfolg möglichst genau: Ihre Teamsitzungen/die Teamatmosphäre/die Auslastung und die Situation, die sich dadurch ergeben haben/die Kommunikation mit dem Kostenträger, die Umsetzung Ihrer Konzeption etc. Wie arbeiten Sie jetzt – wie sieht Ihr Alltag, wie sehen Ihre Arbeitsabläufe jetzt aus?“
Der / die Supervisor:in lädt alle ein, zu berichten und die gegenwärtige Situation zu beschreiben. Die Supervisanden entwickeln dabei ihre Wunsch und Zielvorstellungen, wobei sie sich aber an die vorgegebene Zeitperspektive („heute in einem Jahr“) und die Vorgabe der erfolgreichen Verwirklichung der Vision halten. Dies wird nicht explizit als Regel gesagt, sondern durch den/die Supervisor:in vorgespielt, er lädt – immer freundlich – zur Einhaltung dieser Regel ein. Die Beschreibungen der Supervisanden müssen nicht zueinander passen. Jeder Beitrag wird willkommen geheißen und dankbar angehört. Die Aufgabe des Supervisors besteht darin, die unterschiedliche Beschreibungen möglichst detailliert zu erfragen und so ein reichhaltiges, lebendiges und buntes Bild des Erfolgs zu entwickeln: „Woran kann man Ihren Erfolg noch erkennen? Wie sieht es momentan noch aus?“ und „Was heißt: Wir arbeiten konzentrierter – woran würde ich das sehen? Was machen Sie, wenn Sie konzentriert arbeiten?“ Je nach Kreativität und Mut der Supervisanden bzw. je nach Beharrlichkeit und Aufmunterung des Supervisors kann diese Phase fünf bis zwanzig Minuten dauern. Hilfreich ist, wenn der/die Supervisor.in die berichteten Erfolge der Kunden immer wieder mit bewundernden Ausrufen kommentiert und sie so animiert, noch mehr zu berichten. Er beendet die Phase erst dann, wenn er das Gefühl hat, die Erfolgssituation ist ausreichend beschrieben worden, indem er nicht nur die großen Fortschritte lobt, sondern auch die Genauigkeit in der Beobachtung und Beschreibung und sich für die ausführliche, detaillierte Darstellung bedankt.

Zweite Frage: Was waren damals die ersten Schritte?

„Meine zweite Frage lautet: Was waren damals, vor einem Jahr, die ersten Schritte hin zu diesem Erfolg?“ Der/die Supervisor:in kann die Frage in verschiedenen Formen stellen und beim späteren Nachfragen weiter variieren: „Was haben Sie damals als Erstes unternommen? Wie haben Sie die Sache in Angriff genommen? An was erinnern Sie sich da?“ Die Supervisanden sind eingeladen, sich „an damals zu erinnern“. Auch hier besteht die Aufgabe des Supervisors allein darin, die Supervisanden zu ermuntern, möglichst viele Ideen zu haben und sie auch mitzuteilen. Es sind viele unterschiedliche „erste Schritte“ möglich. In Einzelfällen kann man auch nach den „zweiten Schritten“ fragen, wichtig ist jedoch, eine reichhaltige Auswahl von dem zu erarbeiten, was man „damals“ als Allernächstes tun konnte und tat. Auch hier darf der/die Supervisor:in sich über jeden Beitrag freuen und darüber staunen bzw. ihn bewundern.
Zuweilen verwechseln die Supervisanden die Zeit und fallen aus der Zukunft in die Gegenwart zurück („Wir sollten auch daran denken, die Amtsleiter:in rechtzeitig zu informieren“), dann wird der/die Supervisor:in – ohne zu tadeln oder zu rügen – gleich lächelnd umformulieren: „Also, Sie meinen, Sie haben damals daran gedacht, die Amtsleiter:in rechtzeitig zu informieren.“ Dies kann immer wieder mal notwendig werden.
Wenn diese Phase erschöpfend besprochen worden ist, bedankt sich der Supervisor und kommt zur letzten Frage.

Dritte Frage: Welche Tipps haben Sie für Kollegen?

„Nun habe ich noch meine dritte und letzte Frage, der Grund, weshalb ich ja eigentlich gekommen bin. Ich hoffe, Sie haben noch ein wenig Kraft und Ausdauer, denn für mich sind Ihre Antworten sehr, sehr hilfreich – und Ihre Erfahrung und Ihre Kompetenz sind sehr nützlich. Meine dritte Frage lautet: Welche Hinweise und Ratschläge, Tipps und Anregungen können Sie mit Ihren Erfahrungen Kollegen, die am Beginn eines ähnlichen Projekts wie dem Ihren stehen, geben? Wie ich Ihnen gesagt habe, berate ich in der Nachbarstadt ein Team, das ebenfalls an der Verbesserung seiner Teamsitzungen/seiner Teamatmosphäre/ seiner Auslastung/seiner Kommunikation mit dem Kostenträger … arbeitet, die Teammitglieder könnten sehr von Ihren Erfahrungen profitieren. Also: Welche Tipps haben Sie für diese Kolleg:innen?“

Die dritte Fragerunde beginnt. Der/die Supervisor:in fragt erneut mit einer aufmunternden, lobenden, neugierigen, beharrlichen und ausdauernden Haltung nach. Und auch hier unterstellt man am besten, dass wiederum sehr viele Hinweise und Ratschläge gegeben werden können.

Beendung der Zukunftssitzung

Zum Schluss bedankt sich der/die Supervisor:in nochmals ausführlich und würdigt den Erfolg, die Genauigkeit in der Beobachtung und der Beschreibung sowie die nützlichen Hinweise, evtl. bittet er das Team – keine Sorge, nur im Rollenspiel! – ihm doch eine Rechnung zu stellen – und signalisiert allen, dass sie den Raum bitte verlassen mögen. Dann nimmt er das Kalenderblatt ab.

Zurück aus der Zukunft: Auswertung

Wieder zurück aus der Zukunft, lädt der/die Supervisor:in (möglichst ohne Pause, um die Auswertung noch frisch vornehmen zu können) alle ein, wieder in den Raum zu kommen, sich einen neuen (bzw. den ursprünglichen) Platz zu suchen. Er/sie bedankt sich ausführlich für das Mitspielen und die aktive Beteiligung (das ist keineswegs selbstverständlich, er/sie weiß um die Vorbehalte gegen Rollenspiele). Jetzt kommt der letzte Schritt dieser Supervision, wiederum als eine Frage des Supervisors, auf die er ein weiteres Mal möglichst viele Antworten erhofft: „Was von dem, was wir gerade besprochen haben, könnte in nächster Zeit für Sie von Bedeutung sein? Was davon wollen Sie sich notieren? Zu was wollen Sie Absprachen treffen bzw. wann wollen Sie damit beginnen?

In der Regel hat die Übung genug Ideen und Anregungen gegeben und auch eine Atmosphäre auf Lust zum Anfangen gemacht. Die Aufgabe des/der Supervisors kann jetzt noch sein, die leichte Euphorie zu einem strukturierten Beginn zu lenken – aber das ist vielleicht auch schon wieder die Aufgabe des Teams für seine nächste Teamsitzung.

Voraussetzungen / Kenntnisse

Sehr hilfreich sind die Fähigkeiten, freundlich zu bleiben, zu lächeln, eine humorvolle Stimmung zu fördern und klar zu strukturieren. Der/die Supervisor:in ist bei dieser Übung lediglich „Hypnotiseur“ und Moderator. Seine Aufgabe ist es, klar und deutlich das Rollenspiel bzw. die Lösungstrance einzuleiten und für durchgehende Beibehaltung zu sorgen. Er muss in der Lage sein, konsequent öffnend zu fragen (schließende Fragen können schnell das Ende bedeuten: dann will niemandem mehr etwas einfallen), sich für jede Antwort zu bedanken bzw. sie positiv zu bewerten („gute Idee“, „toll“, „interessanter Aspekt“ etc. – dies erhöht die Bereitschaft, weitere Antworten zu er-finden) sowie bei jedem Frageblock ausdauernd nachzufragen („Was fällt Ihnen noch ein?“, „Was könnte Ihnen noch einfallen?“, „Angenommen, Ihnen würde noch etwas einfallen, was könnte das sein?“).

Der/die Supervisor:in geht mit gutem Beispiel in die Zukunft voran, d.h., er/sie bewegt sich selbstsicher, mit Spaß und Vergnügen in der Zukunft und zeigt, dass er vom Nutzen dieses Ausflugs fest überzeugt ist.

Kommentare

Andererseits könnten diese Hinweise auf die Voraussetzungen jetzt auch eher wieder abschrecken. Ganz so schwierig ist es gar nicht: Vielleicht probieren Sie die Methode einfach mal aus, im Grunde kann es schlimmstenfalls schiefgehen. Wenn mir das passiert (nicht mit dieser, aber vielleicht mit anderen Vorgehensweisen, die ich zum ersten Mal ausprobiere), dann entschuldige ich mich dafür, dass mir eben mal eine Beratungssequenz nicht so gelungen ist. Kann doch jedem passieren! Manchmal kündige ich auch an, dass ich gerne etwas für mich Neues ausprobieren würde, die Supervisanden sozusagen an einem Experiment beteiligt sein werden, und frage, ob sie einverstanden sind. Ich bekomme dann fast immer die Erlaubnis dazu.

Quellen / Literatur

  • Herwig-Lempp, J. (2001). Die Form der guten Frage. In: Kontext 1/01, Bd. 32, S. 33-55.
  • Herwig-Lempp, J. (2004). Ressourcenorientierte Teamarbeit. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Der Abdruck wurde freundlich genehmigt von Johannes Herwig-Lempp & © managerSeminare: Supervisions-Tools, 2023

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