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Wie hoch ist das Burnout-Risiko bei medizinischem Personal?

Carole Bolliger führte kürzlich ein aufschlussreiches Interview mit Sebastian Haas, dem stellvertretenden Ärztlichen Direktor der Privatklinik Hohenegg. Sebastian Haas ist Facharzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie und leitet den Schwerpunkt für Burnout und Belastungskrisen. In diesem Interview bewertet er die Ergebnisse einer Umfrage zur Frage: „Wie hoch ist das Burnout-Risiko bei medizinischem Personal?“

Etwa 17 Prozent der Umfrageteilnehmer gaben an, bereits unter Burnout gelitten zu haben oder aktuell davon betroffen zu sein. Zusätzlich schätzten rund 50 Prozent die Wahrscheinlichkeit, in der Zukunft von Burnout betroffen zu sein, als „mittelgroß“ ein. Wie bewerten Sie diese Zahlen?

Diese Ergebnisse überraschen mich nicht sonderlich. Sie sind in Übereinstimmung mit anderen Umfragen aus der allgemeinen Arbeitswelt. Der Job-Stress-Index 2022 der Gesundheitsförderung Schweiz, der 3.000 Online-Teilnehmer im Alter von 18 bis 65 Jahren umfasst, zeigt, dass erstmals seit 2014 über 30 Prozent der Erwerbstätigen emotional erschöpft sind. Von diesen „Erschöpften“ haben über 50 Prozent deutlich mehr Belastungen als Ressourcen. Eine Untersuchung des SECO im Rahmen der Schweizer Gesundheitsbefragung von über 11.000 Teilnehmern im Jahr 2017 ergab, dass 21,6 Prozent der Erwerbstätigen angaben, sich bei der Arbeit meistens oder immer gestresst zu fühlen. Dieser Anteil ist in den letzten fünf Jahren von 18 Prozent gestiegen. Insbesondere die Altersgruppe der 15- bis 24-jährigen Frauen verzeichnete einen deutlichen Anstieg auf 28 Prozent. Nach dem Gastgewerbe weist das Gesundheits- und Sozialwesen die höchsten Stresswerte von 23-24 Prozent auf.

Der Arbeitsdruck hat in den letzten 20 Jahren kontinuierlich zugenommen, wie auch verschiedene andere Studien bestätigt haben. Der „Barometer Gute Arbeit“ von Travail Suisse befragt jährlich repräsentativ 1.500 Schweizer Arbeitnehmer zur Qualität ihrer Arbeitsbedingungen. Das Ergebnis der letzten Umfrage von 2022 zeigt, dass über 40 Prozent der Befragten sich am Arbeitsplatz oft gestresst fühlen und psychisch belastet sind (46 Prozent). Dennoch ist die Arbeitszufriedenheit in der Schweiz laut Travail Suisse hoch bis sehr hoch.

Unsere Umfrage bestätigt diese Ergebnisse. Mehr als die Hälfte (53 Prozent) der knapp 60 Befragten bewertete ihre Zufriedenheit als „groß“. Es ist bemerkenswert, dass bei der Frage „Wie sehr belastet Sie Ihre Arbeit?“ fast 43 Prozent mit „mittel“ geantwortet haben.

„Mühe bei der Arbeit“ bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Zufriedenheit dadurch negativ beeinflusst wird. Selbst eine schöne Wanderung kann Mühe bereiten und dennoch lohnend sein. Solange die positiven Aspekte die negativen überwiegen und die Arbeit mit den eigenen Werten übereinstimmt, kann Arbeit trotz Anstrengung und Herausforderung befriedigend sein.

Welche sind die hauptsächlichen Risikofaktoren für Burnout bei medizinischem Personal?

Fehlt der Ausgleich, brechen positive Aspekte weg oder werden Leistungsanforderungen unerfüllbar, steigt das Risiko, dass die eigene Motivation beeinträchtigt wird. Dies kann zu innerer Kündigung und oft auch zu Zynismus führen. All diese Faktoren sind eindeutige Auslöser für Burnout. Selbst wenn die Arbeit mit Patienten sehr befriedigend ist, sind Mitarbeiter im medizinischen Bereich generell einem erhöhten Risiko ausgesetzt.

Warum ist das so? Man würde annehmen, dass Fachleute in der Medizin wissen sollten, wie sie auf sich selbst achten können.

Die Ironie liegt darin, dass das Helfen anderer und das Gutes tun für die Gesundheit der Bevölkerung zwar sehr erfüllend sein können, jedoch auch das Risiko birgt, über die eigenen Grenzen hinauszugehen. Ärzte und medizinisches Fachpersonal sind oft nicht so gut darin, „Nein“ zu sagen, Aufgaben zu delegieren oder loszulassen. Sie haben oft ein eher instabiles Selbstwertgefühl und benötigen häufig Bestätigung von außen. All diese Persönlichkeitsmerkmale erhöhen das Risiko für Burnout.

Welche medizinischen Fachkräfte sind am stärksten betroffen?

Es fällt auf, dass leitende Ärzte und Pflegekräfte in Kliniken besonders gefährdet sind. In meiner zehnjährigen Tätigkeit in der Klinik Hohenegg ist mir aufgefallen, dass immer mehr Führungskräfte aus Kliniken als Patienten zu uns kommen. Krankenhäuser sind oft Brennpunkte für Burnout: Die ständig hohen Anforderungen, mangelnde soziale Unterstützung seitens Vorgesetzten und Arbeitgebern sowie niedrige Löhne in der Pflege sind Gründe dafür.

Wie kann Burnout vermieden werden?

Es gibt zwei Ansätze: Die Verhaltensprävention konzentriert sich auf das Individuum. Der Betroffene sollte sich selbst reflektieren: Welche äußeren Anforderungen und inneren Antriebe habe ich? Was hilft mir dagegen? Viele wissen genau, was ihnen bei der Entspannung hilft, setzen es aber nicht um, weil der Patient oder eine Frist Vorrang hat. Die Motivation kann übersteigert sein, was zur Vernachlässigung körperlicher und seelischer Bedürfnisse führt. Bewegung, Ernährung und Entspannung sind wichtige Faktoren für die Gesundheit. Entscheidend ist jedoch, diese in den Alltag zu integrieren. Ist es möglich, beispielsweise den Arbeitsweg sportlich zu gestalten?

Gibt es eine Zauberlösung?

Tatsächlich gibt es eine Art „Zauberlösung“. Die Generation Z zeigt es uns als „Bambus-Generation“. Bambus ist widerstandsfähig, resilient und wächst schnell in Gruppen. Da wir Menschen ebenfalls soziale Wesen sind, sollten wir vermehrt in unsere „Bambusqualitäten“ investieren. Das bedeutet, in Gemeinschaften aktiv zu sein – sei es in einem Sportverein, im Chor oder in einem nicht leistungsorientierten Hobby. Ich empfehle, einen Abend pro Woche ohne festen Plan zu halten, um eine Pufferzeit zu haben. Zudem sollten höchstens zwei Termine pro Woche für berufsbezogene Aktivitäten außerhalb der Arbeitszeit eingeplant werden.

Sie haben von zwei Ansätzen gesprochen. Was ist der zweite Ansatz?

Die Verhältnisprävention betrifft die betrieblichen Umgebungsfaktoren. Arbeitgeber müssen über gesundheitsförderliche Angebote für Mitarbeiter nachdenken. Bei uns bieten wir beispielsweise Mitarbeiter-Yoga, regelmäßige Ausflüge und Veranstaltungen an. Zudem haben wir mehr Ärzte angestellt, als wir eigentlich brauchen. Dadurch können diejenigen, die möchten, einige Wochen unbezahlten Urlaub pro Jahr nehmen. Es lohnt sich für Arbeitgeber, in solche Initiativen zu investieren. Arbeitszeitbeschränkungen oder Verbote, nach 19 Uhr, in den Ferien oder am Wochenende E-Mails zu bearbeiten, können ebenfalls positive Auswirkungen haben. Unterstützung von Vorgesetzten und Kollegen erhöht nicht nur Motivation und Engagement, sondern reduziert indirekt auch Stress und damit das Burnoutrisiko.

Sie haben Arbeitszeitbeschränkungen angesprochen. Der Verband Schweizerischer Assistenz- und Oberärztinnen und Ärzte (VSAO) fordert eine 42-Stunden-Woche für Assistenz- und Oberärzte. Ist das die Lösung?

Ich kann die Forderung nachvollziehen und unterstütze grundsätzlich die Idee, den Arztberuf mit anderen Berufen gleichzustellen. Jedoch erfordert der medizinische Beruf eine gewisse Flexibilität, damit Krankenhäuser mit ihren rund-um-die-Uhr-Diensten effektiv arbeiten können. Deshalb befürworte ich die Idee von „42+“. Das bedeutet, 42 Stunden wären die Basisarbeitszeit, aber zusätzliche Weiterbildung sollte möglich sein. In anderen Berufen absolvieren engagierte Fachkräfte oft auch Weiterbildungen außerhalb der regulären Arbeitszeit.

Sebastian Haas ist Leiter Schwerpunkt Burnout und Belastungskrisen, Facharzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie und Stv. Ärztlicher Direktor an der Privatklinik Hohenegg. Besonders stolz sind wir, ihn bei uns als Dozent in unserer Eidg. anerkannten Psychotherapieweiterbildung zu haben (Einführung PRSIM).

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