Auf dem Weg zu einem systemischen Verständnis von Burnout und Erschöpfungssyndrom
Stefan Geyerhofer und Carmen Unterholzer
Zusammenfassung
Unterstützt durch die aktuelle Burnout-Forschung, durch unsere therapeutische Arbeit und durch Rückmeldungen unserer KlientInnen in strukturierten Interviews entwickeln wir in diesem Beitrag einen systemischen Ansatz zur Diagnostik und Behandlung von Burnout und Erschöpfungssyndrom. Ausgehend von vier Ursachen-, Präventions- und Interventionsfeldern haben wir Betroffene befragt, welche Gründe sie für das Zustandekommen ihres Burnouts finden und wie sie Burnout erlebten. Welche Rolle spielen persönliche Charakteristika beim Zustandekommen von Burnout? Wie verstärkten Partnerschaft und Familie den Erschöpfungszustand? Welche Bedingungen am Arbeitsplatz führen zu Erschöpfung und sozialem Rückzug? Welche gesellschaftlichen Entwicklungen fördern Burnout?
„Als ich mit dem Lift unten angekommen war, hatte ich keine Kraft mehr, den nächsten Schritt zu tun.“ Susanne Prem ist 36. Seit vielen Jahren ist sie Sozialarbeiterin, die letzten zweieinhalb Jahre arbeitete sie in einer betreuten Wohngemeinschaft. „Im Projekt waren die Strukturen unklar, das Teamklima geprägt von Konkurrenz und Abwertung. Ich konnte dort wenig bewegen.“ Bei Susanne Prem stellte sich in der Folge Burnout ein. Nach einem dreimonatigen Krankenstand und einem ausführlichen Gespräch mit ihrem Vorgesetzten über ihre Veränderungswünsche kehrte sie an ihren Arbeitsplatz zurück. Als nach sechs Monaten noch immer nichts verändert war, wechselte Susanne Prem den Arbeitsplatz. „Um nicht wieder im Burnout zu landen, musste ich gehen.“
Georg Gerstner ist 41, bis vor zwei Jahren war er Kreativ- und Etatdirektor einer großen Werbeagentur. „Nach einer Grippe war ich den ersten Tag wieder im Büro, ich hatte viel zu tun. Als dann ein sehr resoluter Mitarbeiter den Raum betrat, legte sich ein Schalter in mir um. Ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen und erstarrte. Ich konnte weder aufstehen noch mich umdrehen.“ Der herbeigerufene Notarzt stellte lediglich einen sehr niedrigen Blutdruck fest. Die Doppelfunktion, schwelende Kon flikte im Unternehmen, hohe Leistungsansprüche, massiver Zeit- und Kostendruck und große Wertdifferenzen zwischen ihm und der Agentur – all das wurde unerträglich. Seit Monaten litt er unter massiver Schlaflosigkeit, die Welt nahm er wie durch einen Schleier wahr. „Ich habe von meiner Umwelt nichts mehr mitgekriegt.“ Nach dem Vorfall im Büro ging er in den Krankenstand. Nun fand er Zeit, über sein Leben nachzudenken: „Schlagartig wurde mir klar: So kann ich nicht mehr weitermachen, ich muss raus aus dieser Branche.“ Heute arbeitet Georg Gerstner als freiberuflicher Coach und Organisationsberater.
„Jedes Telefonat, jede Besprechung war unglaublich anstrengend, so als müsste ich einen Achttausender besteigen. Ich habe mich gefühlt, als wäre ich 90.“ Verena Stelzer ist 57 und Rechtsanwältin. Trotz ihrer beiden Kinder wollte sie beruflich keine Abstriche machen, pflegebedürftige Eltern forderten den Rest ihrer ohnehin spärlichen Freizeit. „Seit Jahren fuhr ich trotz vieler roter Ampeln einfach weiter, bis es mich dann eines Tages erwischt hat.“ Herzrasen, Schweißausbrüche, Atemnot. Hinter Verena Stelzers Panikattacken verbarg sich ein Burnout. Heute bleibt sie vor roten Ampeln stehen. „Jetzt achte ich mehr auf meinen Energiehaushalt. Ich weiß, dass ich mir nicht mehr alles zumuten muss.“ Rechtsanwältin ist sie trotzdem geblieben.
„Ich habe mich total verloren, habe mich nicht mehr gespürt, war wie aufgezogen. Ich hatte das Gefühl, als würde ich mich auflösen. Ich wusste nicht mehr, wer ich bin.“ So erlebte Monika Werth, 47, ihr Burnout. Bis 30 war sie Postangestellte. Neben ihrem 40-Stunden-Job holte sie die Matura nach. Dann begann sie – berufsbegleitend – zu studieren. Zweimal erlitt sie ein Burn- out. Heute arbeitet sie freiberuflich als Psychologin. „Jetzt be- stimme ich über meine Arbeitsbedingungen weitgehend selbst. Burnout-Prävention steht an oberster Stelle.“ So beschreiben Menschen den Höhepunkt ihres Burnouts, den Zusammenbruch. So schildern sie das Ende ihres Burnouts. Von den Ursachen, die in die Krise führten, wird hier die Rede sein.
Anspruchsvoll, zielstrebig und ehrgeizig
Der Begriff „Burnout“ taucht 1974 erstmals in der Fachliteratur auf. Der Psychoanalytiker Herbert Freudenberger beschreibt in einem Beitrag für das „Journal of Social Issues“, wie ehrenamtliche MitarbeiterInnen einer New Yorker Klinik für Drogenabhängige im Laufe ihrer Arbeit zunehmend stärker ausbrennen. Er benennt bereits einige wichtige Symptome des Syndroms: Anfälligkeit für Krankheiten, erhöhte Gereiztheit, Schlaflosig- keit, negatives Verhalten wie Zynismus, Misstrauen und Frustration. Als Ursachen bezeichnet er die Diskrepanz zwischen den Erwartungen der Betroffenen und der Realität des Arbeitsplatzes sowie die Tatsache, dass sich die ehrenamtlichen MitarbeiterInnen sehr mit ihrer Arbeit verbunden fühlen. Er kommt zu dem Schluss: „… it is precisely because we are dedi- cated we walk into a burn-out trap.” (Freudenberger 1974, S. 161, zitiert nach Rösing 2003, S. 34). Es brennt also aus, wer für eine Sache brennt. Hohe Ideale, hohe Standards und große Erwartungen an die eigene Arbeit – bis hin zum Perfektionismus –, enorme Anforderungen an die Arbeit der KollegInnen, großes inhaltliches Engagement und eine hohe Bewertung der Arbeit finden wir häufig bei unseren KlientInnen mit Burnout. Alle sechs von uns befragten Personen investierten viel Energie, viel Zeit in ihre Arbeit, sie waren mit Eifer bei der Sache. Verena Stelzer erzählt uns von ihrem Ehrgeiz und von ihrer Zielstrebigkeit. „Ich bin sehr anspruchsvoll, was meine Arbeit anlangt, habe hohe Standards.“ Susanne Prem berichtet von ihrer Arbeitseinstellung: „Ich war schon immer sehr leistungsbereit, sehr engagiert.“ Auch Georg Gerstner weiß um seine hohen Leistungsansprüche, seinen Hang zum Perfektionismus. Monika Werths Ehrgeiz und ihr Durchhaltevermögen bewirkten, dass sie heute Akademikerin ist: „Das verdanke ich meinem Eifer. Ihn zu reduzieren, fiel mir sehr schwer.“ Astrid Weber ist 32 und Erwachsenenbildnerin: „Hätte ich die Arbeit nicht so ernst genommen, wäre ich nicht so gewissenhaft, wäre ich wahrscheinlich nicht ausgebrannt“, mutmaßt sie. Senta Moser ist 50 und Beraterin in einer Sozialeinrichtung. „Meine Gewissenhaftigkeit hat sicherlich zum Burnout beigetragen. Ich will meine Arbeit gut machen. Wenn man mich dabei behindert, halte ich das fast nicht aus.“
Schmidbauer (1977, 2002) hebt den Zusammenhang zwischen dem Helfersyndrom und der Burnout-Gefahr hervor. Ähnlich wie bei Freudenberger (1974) stehen auch bei ihm Fallstudien und Berichte im Vordergrund. Sie sind praxisnah, selten theorie- geleitet und fokussieren auf das Individuum. Da sich die frühen Fallbeschreibungen hauptsächlich auf Sozial- und Gesundheits- berufe konzentrieren, glaubte man über viele Jahre, diese beiden Berufsgruppen seien besonders gefährdet. Jahre später, nachdem man auch andere Branchen unter die Lupe genommen hat, muss diese Annahme revidiert werden – Burnout kann jeden treffen. Die sozialpsychologischen VertreterInnen der frühen Burnout-Forschung wenden sich gegen diesen individuumsorientierten Ansatz. „Die gängige Ansicht ist, dass Burnout in erster Linie ein Problem der Einzelperson ist. Das soll heißen, dass Menschen aufgrund von kleinen Fehlern in ihren Charakteren, ihrem Verhalten oder ihrer Leistung an Burnout erkranken. Nach dieser Sichtweise sind die Menschen das Problem und die Lösung besteht darin, diese auszutauschen oder sich ihrer zu entledigen“, kritisieren Maslach und Leiter (2001, S. 19).
Der Weg vom Individuum zur Organisation
„Gehen Sie doch eine Woche auf Urlaub!“ „Ich kümmere mich um einen Platz im Stressmanagement-Seminar für Sie!“ „Sie müssen sich die Zeit besser einteilen.“ „Sagen Sie nicht überall gleich ‚Ja’.“ „Lernen Sie, sich besser abzugrenzen!“ Solche und ähnliche Reaktionen erfahren Menschen, wenn sie am Arbeitsplatz ihr Ausgebranntsein zum Thema machen. Sie sind mutig und brechen ein Tabu, wenn sie sich mit ihrem Burnout an ihre Vorgesetzten, an die Personalverantwortlichen, an die GesundheitsexpertInnen im Betrieb wenden. Die in den meisten Fällen gut gemeinten Hilfsangebote gehören zu den positiven Beispielen von Reaktionen auf ein sich ausbreitendes, psychisches Phänomen in unserer Arbeitswelt. Als eine unserer KlientInnen einen Monat vor dem Zusammenbruch ihrer Chefin von ihren Angstattacken und Schlafstörungen erzählte, hörte sie: „Was heißt Burnout? Mit Stress müssen wir alle fertig werden.“ Alle diese Aussagen haben eines gemein: Sie gehen davon aus, dass die Ursachen von Burnout bei den Betroffenen liegen. Wenn jemand erschöpft ist, sich kaum mehr an seinen Arbeits- platz wagt, regelmäßig krankheitsbedingt der Arbeit fern bleibt, KundInnen und KollegInnen aggressiv und feindselig gegen- übertritt („Was wollen die schon wieder von mir?“), wenn jemand sich deshalb schämt und sich mit Selbstzweifeln quält („Was ist los mit mir? Wieso schaffen das die anderen ohne Probleme?“), dann ist sie oder er selbst dafür verantwortlich. In die Logik dieser Vorannahmen passen die genannten „Lösungsvorschläge“. Den Betroffenen wird Unterstützung angeboten, um persönliche Defizite auszugleichen und um sie „fitter“ für den Arbeitsplatz zu machen. Diese Angebote heißen je nach Organisation: Entspannungstraining, Zeit- oder Stressmanagementseminare, Urlaub, Einzelsupervision oder Coaching. Soll- ten diese Angebote nicht den erwarteten Effekt bringen, bleibt die Dienstfreistellung oder die Kündigung. Folgerichtig ist auch die letzte „Lösung“ des Problems eine auf das Individuum bezogene. Die Mitarbeiterin ist ausgebrannt, eine neue Mitarbeiterin übernimmt den Job. Oftmals bleibt dem Gekündigten die späte, zweifelhafte Genugtuung, dass sein Nachfolger nach kurzer Zeit unter ähnlichen Zuständen leidet: „Also lag es vielleicht doch nicht nur an mir.“
Wir wollen die Existenz intrapersoneller Faktoren beim Zustandekommen und im Verlauf von Burnout oder eines Erschöpfungssyndroms nicht leugnen. Wir werden im Folgenden sogar noch einmal gesondert darauf eingehen. Individuelle Faktoren jedoch als einzige oder wichtigste Ursache und als einzige Quelle möglicher Lösungsschritte zu sehen, ist heute wissenschaftlich nicht mehr haltbar, therapeutisch unverantwortlich. Dieser Denkansatz schränkt das arbeitsmedizinische, psychologische, psychotherapeutische, supervisorische Handeln ein, seine Wir- kungsfähigkeit ist selten nachhaltig. Von einem systemischen Ansatz aus betrachtet, würde diese reduzierte Herangehensweise KlientInnen nur kurzfristig aufbauen. Kehren sie dann nach Hause und ins Unternehmen zurück, finden sie dieselben Bedingungen vor, die sie ausbrennen haben lassen. Wenig später er- leben sie oftmals einen weiteren Zusammenbruch. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist der ausschließlich am Individuum orientierte Ansatz überdies kurzsichtig und kostspielig. Dieser Sichtweise von Burnout stellen wir eine systemische Perspektive gegenüber und untermauern sie mit Forschungsergebnissen und Praxisbeispielen. Bereits in ihren frühen, sozialpsychologischen Forschungsarbeiten fügt Christina Maslach dem individuumszentrierten Ansatz einen neuen Aspekt hinzu. Mit ihrem kanadischen Kollegen Michael Leiter zeigt sie auf: Burnout ist nicht das Problem des Menschen, sondern jenes des sozialen Umfelds, in dem der Mensch arbeitet. „Wir argumentieren, dass Burnout-Symptome, die beim jeweiligen Arbeitnehmer auftreten, mehr über die Bedingungen im Job aussagen, als über ihn selbst.“ (Maslach und Leiter 2001, S. 23). Ausschlaggebend, ob jemand ausbrennt oder nicht, ist die Beschaffenheit des Arbeitsplatzes, die Interaktion zwischen Vorgesetzten und MitarbeiterInnen sowie jene zwischen den MitarbeiterInnen.
Ende der siebziger Jahre leiten Maslach und ihre KollegInnen an der University of California die empirische Phase der Burnout- Forschung ein. Es sind vor allem drei Ergebnisse, die ihre frühen Forschungen relevant machen.
- Aus Befragungen von Betroffenen filtert sie drei Dimensionen heraus, die Burnout in charakteristischer Weise kennzeichnen (Leiter und Maslach 1998, Maslach und Leiter 2001):
u Emotionale Erschöpfung
u Zynismus und Depersonalisierung
u Reduzierte Leistungsfähigkeit und Selbstwirksamkeit
Alle unsere GesprächspartnerInnen berichten von Erschöpfung, von einer distanzierten bis ablehnenden Haltung der Arbeit gegenüber und von reduzierter Leistungsfähigkeit. Senta Moser beschreibt ihre große Müdigkeit, ihre „totale Erschöpfung“ als Ursache für ihren Rückzug aus dem Familien- und Freundeskreis: „Ich konnte nach der Arbeit nichts mehr tun, wollte nicht mehr unter Menschen gehen.“ Über die Maßen musste sie sich in ihrer Arbeit konzentrieren. Was ihr früher leicht von der Hand gegangen war, erforderte im Burnout einen unermesslichen Kraftaufwand. Ständig überfordert habe sie sich gefühlt, erinnert sich Monika Werth. Sinnlos sei ihr die Arbeit vorgekommen, sagt Susanne Prem, ihr Humor habe sich verändert: „Ich habe ihn zwar nie ganz verloren, aber mein Witz wurde derber, sarkastischer.“ Von Müdigkeit und erhöhter Reizbarkeit und dem Gefühl, erschöpft zu sein, berichtet auch Astrid Weber. „Ich habe mich dann auch sehr zurückgezogen, ging kaum mehr weg, freute mich auf nichts mehr. Zudem hatte ich den Eindruck, meine Arbeit sei sinnlos.“
- Aus der „Dreidimensionalität“ des Burnoutsyndroms entwickelt die Sozialpsychologin mit ihrer Kollegin Susan Jackson das „Maslach Burnout Inventory“ (MBI). Dieses standardierte Messinstrument ermöglichte die Untersuchung großer Populationen. Nun wurden auch andere Berufsfelder ins Auge gefasst.
„Mit der Einführung des MBI wurde die Burnout-Forschung empirisch. Sie wurde auch einfacher und wuchs enorm im Umfang“, fasst Ina Rösing zusammen (Rösing 2003, S. 45) Das MBI gibt es in drei Varianten: den Fragebogen für den Sozial- und Gesundheitsberufe (MBI-HSS, Human Services Survey), jenen für pädagogische Berufsgruppen (MBI-ES, Educators Survey) und einen dritten für alle anderen Arbeitsfelder (MBI-GS, General Survey).
- Eine weitere wichtige Erkenntnis ist Maslach, Leiter und ihrem holländischen Kollegen Wilmar Schaufeli zu verdanken. Bei der Erforschung der Ursachen und aufrechterhaltenden Bedin- gungen fanden sie sechs Faktoren, die maßgeblich darüber ent- scheiden, ob Menschen an ihrem Arbeitsplatz ausbrennen oder nicht (Maslach, Schaufeli und Leiter 2001, Maslach und Leiter 2001). Es sind dies:
u Arbeitsbelastung
u Einfluss/ Kontrolle
u Belohnung und Anerkennung
u Gemeinschaft
u Fairness, Respekt und Gerechtigkeit
u Werte
Sie sprechen dabei von der „Passung zwischen Person und Job“, vom Ausmaß, in dem sich die Erwartungen des Individuums mit der Realität des Arbeitsplatzes treffen oder ihr wider- sprechen: „Je mehr wir uns mit Burnout beschäftigen, je mehr wir mit involvierten Managern sprechen und je mehr wir Arbeitnehmer in Krisensituationen interviewen, desto deutlicher können wir die Auswirkungen dieser sechs Missverhältnisse auf das Wohlbefinden der Menschen erkennen“, schreiben Maslach und Leiter (2001, S. 41). Wir haben gute Chancen, Burnout zu erleiden, wenn wir uns über einen längeren Zeitraum überlastet fühlen, nicht genug Kontrolle über unsere Arbeit haben, zu wenig Einfluss auf die Tätigkeiten, die wir verrichten, ausüben können und zu wenig oder zu viel Verantwortung haben. An Burnout erkranken wir auch, wenn unsere Arbeit nicht entspre- chend anerkannt wird, wenn wir Konflikte im Team nicht auf eine konstruktive Art austragen können, wenn wir nicht fair behandelt werden und wenn die Werte des Unternehmens nicht in einem ausreichenden Ausmaß mit den eigenen Werten übereinstimmen. Wer hingegen an seinem Arbeitsplatz eine handhabbare Arbeitsbelastung vorfindet, Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten entsprechend seinen Erwartungen hat, ausreichend belohnt und anerkannt wird, in einem Team arbeitet, das sich durch eine gute Konfliktkultur auszeichnet, wer von seinen Vorgesetzten und seinen KollegInnen fair behandelt wird und wessen Werte mit denen des Unternehmens größtenteils übereinstimmen, der hat gute Chancen, langfristig über weite Strecken gerne und engagiert zu arbeiten.
Mindestens drei Faktoren
Es gibt sie nicht, jene Jobs, in denen alle sechs Faktoren optimal passen. Aber wir halten Einschränkungen und Kompromisse in unserem Berufsleben aus. Kritisch wird es, wenn mehrere die- ser sechs Faktoren sich zu burnoutfördernden Bedingungen zusammenfinden. Alle unsere InterviewpartnerInnen nennen jeweils mindestens drei dieser Faktoren als mitverantwortlich für das Zustandekommen ihres Burnouts. Vielen gemeinsam war die jahrelange – manchmal sogar die jahrzehntelange – Ar- beitsüberlastung. Fast alle erwähnten Doppel- oder gar Drei- fachbelastungen. Monika Werth schildert, dass sie es untertags kaum schaffte, ihre Arbeit zu Ende zu bringen. „Ich nahm oft Unerledigtes mit nach Hause oder ich hab es am Wochenende fertig gemacht. Nach Dienstschluss, wenn es im Büro ruhig war, hab ich alles, was tagsüber liegen geblieben ist, aufgearbeitet.“ Georg Gerstner erzählt, dass ihn die Doppelbelastung – Etat- und Kreativdirektor – in der Werbeagentur mit der Zeit völlig aufgerieben hat. „Ich hab meist 10 Stunden, später noch mehr gearbeitet.“
Welch wesentliche Rolle das Gefühl, die Arbeit nicht kontrollieren, Einfluss darauf ausüben zu können, bei der Entstehung eines Burnouts spielt, bestätigen Susanne Prem und Senta Moser. Susanne Prem erzählt von ihrer Angst, der sie tagtäglich ausgesetzt war. „Da die Kommunikation im Team nicht funktionierte, hatte ich keinerlei Kontrolle über meinen Arbeitstag. Kam ich morgens in die Arbeit, wusste ich nie, was mich heute wie- der erwarten würde.“ Senta Moser, die an einem „Info desk“ arbeitete, war ständig mit einer langen Schlange von KundInnen konfrontiert. Dieses Gefühl, ausgeliefert zu sein, hält sie auf Dauer nicht aus. „Auch wenn sich die Menschenschlange am einen Tag auflöste, am nächsten Tag stand ich schon wieder einer Schlange von Menschen gegenüber, die etwas von mir wollte. Ich leistete viel, aber ich hatte nie ein sichtbares Ergebnis. Außerdem kam selten positives Feedback und das ging dann in der Menge an Beschwerden und Unfreundlichkeiten unter.“ Die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen, war gering: Vorschläge für Verbesserungen, wie „einen Wechseldienst einzurichten, um Unterbrechungen, kurze Pausen zwischendurch zu ermöglichen“, ignorierten die Vorgesetzten. Auch andere GesprächsteilnehmerInnen klagen über mangelnde Anerkennung. Astrid Webers KollegInnen ziehen ihre Kompetenzen ins Lächerliche. „Aufgrund meines Psychologiestudiums nannten sie mich ,Psychotante’“. Sie, die hohe Ansprüche an ihre Arbeit hat, wird weder dafür anerkannt noch angemessen entlohnt. Georg Gerstner erzählt von fehlender Wertschätzung durch seine Vor- gesetzten und MitarbeiterInnen.
Hilfsbereite, rücksichtsvolle KollegInnen hatten unsere Ge- sprächspartnerInnen eher selten. Susanne Prem erwähnt, dass sie weniger die Arbeit als vielmehr das Team belastete. Drei Stunden Teamsitzung seien für sie anstrengender gewesen als 24 Stunden mit schwierigen Jugendlichen. Sie hatte „null Bock auf Teambesprechungen“ und „am Abend vorher schon Bauch- schmerzen, wenn am nächsten Tag Teamsitzung war.“ Astrid Weber berichtet von Schwierigkeiten im Team: „Die Mitglieder des Teams waren sehr unterschiedlich – auch von ihren Qualifi- kationen her. Das machte eine Zusammenarbeit sehr schwierig. Es herrschte eine eher feindliche Stimmung. Gegen subtil frauenfeindliche Äußerungen musste ich mich immer wieder zur Wehr setzen.“ Auch Georg Gerstner spricht von „Neid statt Lob“ im Team, Monika Werth vom „Kleinkrieg“ unter KollegInnen, von hoher Fluktuation und dadurch ständig sich ändernden Teams. Das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden oder ande- re aufgrund schlechter Rahmenbedingungen ungerecht behan- deln zu müssen, rieb einige unserer GesprächspartnerInnen auf. Senta Moser konnte ihrem Bedürfnis nach Gerechtigkeit nicht nachgeben, da von ihr eine rasche, zügige „Abfertigung“ der KundInnen verlangt wurde. Ihre Werthaltung, ihr Menschenbild war nicht kongruent mit dem der Institution, in der sie arbeitete. Unterschiedliche Werte beschreibt auch Georg Gerstner: „Die stimmten nicht überein, sei es was den Umgang mit Konflikten, sei es was die Behandlung von Mitarbeitern anlangt.“
Mit ihrem Konzept der Passung (Kongruenz, „fit“) bzw. des Missverhältnisses (Inkongruenz, „misfit“) nähern sich Maslach und Leiter einem systemischen Verständnis von Burnout an, das neben individuellen Bedingungen den Arbeitskontext entscheidend mitberücksichtigt. Dabei gilt: Je mehr Faktoren passen, desto eher wird es uns gelingen, das Engagement für unsere Arbeit zu erhalten. Je größer die Diskrepanzen zwischen unseren Bedürfnissen und den Bedingungen am Arbeitsplatz sind, desto größer ist das Burnout-Risiko. Der Hamburger Burn- out-Forscher Matthias Burisch greift zu einem bildlichen Ver- gleich: „Man kann sich einen Person-Environment-Misfit wie ein schlecht sitzendes Kleidungsstück vorstellen, das einerseits spannt und kneift, andererseits sensible Körperpartien ungeschützt lässt. (…) Umgekehrt stabilisiert ein gut sitzender Anzug wahrscheinlich das, was in ihm steckt.“ (Burisch 2006, S. 101) Mit Maslach und Leiters Sechs-Faktoren-Modell war der Weg für eine erweiterte und kontextbezogene Perspektive des Burnoutsyndroms geebnet. Das MBI (deutsche Versionen von Andre Büssing) und das „Areas of Worklife Survey“ von Leiter (deutsche Übersetzung von Stefan Geyerhofer) geben forschungsinteressierten KollegInnen zwei Werkzeuge in die Hand, die auch praxisnahe Unterstützung in der Arbeit mit Firmen und Organisationen bieten. Mit den beiden Büchern „Die Wahrheit über Burnout“ (2001) und „Burnout erfolgreich vermeiden” (2007) zeigen Maslach und Leiter, welche Veränderungen in den einzelnen Bereichen möglich sind, um von einer geringen Passung zwischen Personen und dem Arbeitsumfeld zu einer größeren zu gelangen.
Mangelnde Führungsqualität
Immer wieder weisen Burnout-ExpertInnen auf den Zusammenhang zwischen mangelnder Führungsqualität von Vorgesetzten und der Entwicklung eines Burnouts bei MitarbeiterInnen hin. Die Psychologin Sabine Maunz untersuchte in ihrer Studie, wie sich unterschiedliche Führungsstile beim Pflegepersonal im Krankenhaus auf die Entwicklung von Burnout auswirken. „Die Befunde machen deutlich, dass Defizite im Führungsverhalten von leitenden Pflegefachkräften den stärksten Einfluss auf das innere Ausbrennen in der Pflege ausüben“, resümiert sie, nach- dem sie ihre empirische Untersuchung von 28 Pflegeteams mit 303 MitarbeiterInnen ausgewertet hat (Maunz 2006, S. 110). Von den unterschiedlichen Führungsstilen schneidet die Laissez- Faire-Führung am schlechtesten ab. Je weniger Vorgesetzte bereit sind zu führen, je passiver sie sind und je weniger sie intervenieren und steuern, umso größer ist die Burnout-Gefahr. Je größer die Führungskompetenz von Vorgesetzten, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass MitarbeiterInnen ausbrennen. Hohe Führungsqualität beugt nicht nur Burnout vor, sie „fördert gleichzeitig die Teameffektivität und die Zufriedenheit.“ (Maunz 2006, S. 114) Auch Leiter und Maslach führen ineffiziente Vorgesetzte als mögliche Ursache beim Zustandekommen eines Burnouts an.
„Anstatt sich zurückzuhalten und den MitarbeiterInnen die Frei heit zu geben, ihrem Urteilsvermögen bei der Arbeit zu folgen, wollen schwache Führungspersonen die Einzelheiten diktieren. Sie stehen ihnen gegenüber – aber nicht mit anregendem Führungsverhalten, sondern mit störendem Einfluss.“ (Leiter und Maslach 2007, S. 70)
Viele unserer KlientInnen, einige unserer GesprächspartnerInnen haben die Auswirkungen von Führungsschwächen am eige- nen Leib schmerzhaft erfahren. Senta Moser erzählt, dass ihre Vorgesetzten auf Verbesserungsvorschläge nicht reagierten. Susanne Prem berichtet, dass ihr Vorgesetzter sie zwar nach ihrem Burnout nach Veränderungsvorschlägen fragte, keinen davon aber umsetzte. Monika Werths Vorgesetzte waren selbst überfordert und überarbeitet, einer schied wegen Burnout aus dem Arbeitsleben aus.
Hinwendung zu den Ressourcen
Man könnte sie als dritte Phase in der Burnout-Forschung be- zeichnen: die positive Wende. Burnout-ForscherInnen wenden sich Organisationen zu, in denen es kein Burnout gibt, und fra- gen sich, wie deren Arbeitsplätze aussehen. Jobengagement zeichnet sich durch drei Dimensionen aus:
u Energie
u Interesse
u Selbstwirksamkeit
Leiter und Maslach formulieren knapp und pointiert: „Je höher der Energiepegel, die Einsatzfreude und das Gefühl, etwas bewirken zu können, desto stärker ist das positive Erleben der eigenen Arbeit ausgeprägt.“ (Leiter und Maslach 2006) Wilmar Schaufeli von der Universität Utrecht gilt als Pionier der „positiven Wende“ im europäischen Raum. Den amerikanischen Glücksforscher Martin Seligman zitierend, definiert er die „positive Psychologie“ als wissenschaftliche Erforschung optimalen menschlichen Funktionierens. „Sie versucht die Faktoren zu entdecken und zu fördern, die die Menschen und die Gemeinschaften, in denen sie leben, blühen lassen.“ (Schaufeli 2006) Um sie wissenschaftlich zu eruieren, entwickelt der Arbeits- und Organisationspsychologe mit seinem Kollegen Arnold Bakker die „Utrecht Work Engagement Scale“ (Schaufeli und Bakker 2003). Burnout nicht als ein „Entweder-Oder“, sondern als ein „Mehr oder Weniger“ zu verstehen, dessen andere (positive und wünschenswerte) Seite Jobengagement darstellt, liegt aus systemischer Sicht nahe. Verwandeln sich doch damit die Ursachenfaktoren für Burnout (siehe unten) in Ansatzpunkte für die Prävention. Diese Faktoren erlauben uns dann über viele Jahre in ein und demselben Job mit hohem Engagement, Energie und Interesse kompetent und sinnerfüllt zu arbeiten.
Erzählen die von uns befragten Betroffenen von ihrer aktuellen Arbeit, verweisen sie auf die Unterschiede zum früheren Arbeitsplatz. Beispielsweise Susanne Prem: „Jetzt arbeite ich in einem Team, das ich als unterstützend erlebe, das mich anerkennt. In unserer Beratungsstelle herrscht eine gute Feedbackkultur, die auch Kritik und Konflikte zulässt.“ Oder Georg Gerstner: „Meine Arbeit ist vielfältiger geworden, ich arbeite selbstbestimmt und eigenverantwortlich. Ich habe wieder den Eindruck, dass das, was ich mache, sinnvoll ist.“
Ein systemisches Modell von Burnout und Erschöpfungssyndrom
Wer ein Burnout erlebt, befindet sich oft in einer familiären Konstellation, die burnoutfördernd ist. Überhöhte Leistungsansprüche in Familien, unklare Trennung zwischen Beruf und Freizeit, keine freien Wochenenden, mangelnde Möglichkeiten, psychohygienisch zu agieren – wie jammern, reden, sich Kraft holen – tragen dazu bei, auszubrennen. Sehr oft finden sich bereits in der Anamnese Hinweise auf zusätzliche Belastungen, wie Krankheit, Pflege- oder auch Todesfälle in der Familie. Oft gibt es neben Problemen am Arbeitsplatz Konflikte in der Familie, mit PartnerInnen, Kindern oder den eigenen Eltern. Trennung, Scheidung oder der Schuldenberg nach dem Hausbau machen zusätzlich Druck und reduzieren Lösungsmöglichkeiten wie Kündigung oder Stundenreduktion. Die Betroffenen müssen den ungeliebten Job weiter aushalten – allen Warnsignalen und körperlichen Beschwerden zum Trotz. Immer öfter beobachten wir, dass KlientInnen über Jahre hinweg an der Grenze ihrer Belastbarkeit arbeiten. Dann kommt eine weitere Belastung im familiären Bereich hinzu und der Zusammenbruch folgt auf dem Fuße. Körper und Geist halten überraschend lange mit – bis auf einmal nichts mehr geht. Menschen haben dann kaum noch zeitliche und kräftemäßige Puffer, um lebenszyklisch bedingte Vorfälle in Familien bewältigen zu können. Alle unsere sechs InterviewpartnerInnen bestätigten zusätzliche Belastungen im familiären Bereich. Bei Verena Stelzer war es der Tod der Mutter, die sie zwischendurch immer wieder gepflegt hatte. Susanne Prem durchlebte in der Zeit ihres Burnouts eine schwere Beziehungskrise. „Meine pubertierende Tochter machte uns das Leben nicht gerade leichter. Ich hatte nirgendwo mehr einen Platz, wo ich mich erholen oder einfach nur wohl fühlen konnte.“ Unmittelbar vor Astrid Webers endgültigem Zusammenbruch war bei ihrer Schwester eine Krebserkrankung diagnosti- ziert worden. „Da hatte ich dann keine Ressourcen mehr.“ Oft sind es auch die eigenen, überhöhten Ansprüche bei der Pflege von Familienmitgliedern und/oder die großen Erwartungen der Angehörigen, die es uns schwer machen, zurückzustecken. Verständlich, handelt es sich hier doch um unsere eigenen Kinder, Enkelkinder, PartnerInnen oder Eltern.
Familie kann aber auch präventiv gegen Burnout wirken. Das zeigt die Tatsache, dass Singles und kinderlose Paare eher durch Burnout gefährdet sind als Menschen mit Familie (R. Unterholzer 2008, S. 78). Für sie ist der Beruf oft Lebensmittelpunkt. Georg Gerstner war in der Zeit seines Burnouts ohne Partnerin.
„Die Firma war meine Familie. Daneben hätten weder eine Be ziehung noch Kinder Platz gehabt, dachte ich.“
Es sollte ein Alarmzeichen sein, wenn man entdeckt, dass man in seiner Freizeit dieselben Aufgaben erledigt wie in seiner Arbeit. So wenn der Handwerker am Wochenende Freundschaftsdienste am Haus seines Schwagers verrichtet, wenn der Buch- halter ehrenamtlich die Buchhaltung eines Vereins macht, die Managerin im Vereinsvorstand tätig ist, die Kindergärtnerin in ihrem Urlaub Kindergruppen leitet oder der Lehrer nach der Schule Nachhilfeunterricht gibt.
Neben familiären Bedingungen tragen auch gesellschaftliche Veränderungen – etwa Gewinnmaximierung als oberste Priorität – mit ihren Folgen für den Einzelnen zum Ausbrennen bei. Die neuen Kommunikationstechnologien erfordern eine schnelle Anpassung und beschleunigen unser Arbeitstempo. Heute können wir immer und überall arbeiten, wir sind ständig und überall für KundInnen, KollegInnen und für Vorgesetzte erreichbar. Die Grenze zwischen Arbeitszeit und Freizeit oder Urlaub verschwindet zusehends. Zunehmender Verantwortungsdruck – bedingt durch Rationalisierungsmaßnahmen –, der individualisiert wird, ist als weiterer gesellschaftlich bedingter Faktor zu nennen.
Gesellschaftliche Einflüsse auf die Entstehung von Burnout wurden bisher kaum untersucht. 1981 stellte Howard J. Karger von der University of Houston bereits fest, dass Burnout in die Privatsphäre verbannt werde und dadurch nicht zum sozialen, gesellschaftlichen Problem werde. Zwei Jahrzehnte später weisen die drei schwedischen Forscher Bengt Starrin, Gerry Larsson und Sven Styrborn darauf hin, dass dieses Defizit immer noch besteht (R. Unterholzer 2008, S. 173). Fragt man KlientInnen nach gesellschaftlichen Ursachen, können sie meist Auskunft darüber geben. Verena Stelzer verweist auf den EU- Beitritt Österreichs und auf das dadurch komplexer gewordene Rechtssystem. „Rechtsanwälte haben durch den Beitritt an Sicherheit verloren. Niemand wusste, wie sich der Beitritt im Detail auf unser Rechtssystem wirklich auswirkt. Meine Klienten verlangen Klarheit und Sicherheit von mir – ich konnte sie ihnen nicht mehr eindeutig geben. Gleichzeitig brauchten meine Mit arbeiter mehr Unterstützung. Der Druck auf sie stieg natürlich auch. Die wollten jede Entscheidung mit mir besprechen. So war ich von zwei Seiten her unter Druck.“ Verena Stelzer macht ihr Burnout an einer weiteren gesellschaftlichen Veränderung fest. „Ich dachte seit Jahren, dass ich mich mit Ende 50 aus dem Beruf zurückziehen werde. Dann kamen die zwei Pensionsreformen und der Traum war vorbei.“ Susanne Prem weist auf den geringen Anerkennungswert der Sozialarbeit hin. „Wo wenig öffentliche Wertschätzung ist, sind auch die Ressourcen knapp.“ Ähnliches erwähnen Astrid Weber, Monika Werth und Senta Moser. „Die Rahmenbedingungen in der öffentlichen Verwaltung haben sich sehr verschlechtert. Es war unmöglich, meine Arbeit meinen Ansprüchen entsprechend zu erledigen“, schildert Astrid Weber. „An meiner Arbeitsstelle wurde – wie in vielen anderen Arbeitsbereichen auch – die gesellschaftliche Verantwortung zunehmend stärker individualisiert. Das hält der Einzelne nicht aus.“ Georg Gerstner erzählt von einer wirtschaftlichen Krise, die den Druck in der Werbebranche massiv erhöhte. „Trotzdem sollten wir noch so erfolgreich sein wie in Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs – ein Ding der Unmöglichkeit.“
Geht man von einer individualisierten Betrachtung des Problems weg und versteht Burnout im systemischen Kontext, lassen sich die bereits erwähnten vier Ursachenfelder festmachen: die Person (individuelle Faktoren), die Familie/ Partnerschaft, die Arbeitssituation und gesellschaftliche Faktoren. Alle diese Bereiche können dazu beitragen, dass Burnout entsteht und sich weiter verfestigt. Es zeigen sich eindeutige Wechselwirkungen zwischen den Bereichen, welche die Situation noch erschweren. Auf die Wechselwirkungen zwischen Person und Job wurde be- reits eingegangen. Sie sind in der Burnout-Forschung am besten untersucht. Die Wechselwirkungen zwischen Arbeit und Familie wurden ausgiebig in den sogenannten „Spill-over“-Theorien in der Arbeits- und Organisationspsychologie untersucht. In der Praxis zeigt sich aber oftmals ein Zusammenwirken all dieser Ursachenbereiche. Stefan Geyerhofer (2006) hat diesen syste- mischen Ansatz von Burnout bereits im Vorfeld unserer gemein- samen Arbeit in Form eines Trichtermodells skizziert. Diese vier Bereiche wirken so zusammen, dass sie den Betroffenen schein- bar keinen anderen Ausweg lassen – als ins Burnout zu geraten.
Die vier Ursachenfelder können aber auch zur umfangreichen Fundgrube für mögliche Ansatzpunkte in der Prävention und in der Intervention werden. Voraussetzung dafür ist eine genaue, auf den Einzelfall ausgerichtete Analyse dieser vier Bereiche. Die Ergebnisse dieser Analyse werden bei jedem Klienten andere sein. Auch die präventiven Maßnahmen und die Interventi- onen in Beratung, Therapie, Supervision und Coaching werden unterschiedlich aussehen.
Eine systemorientierte Diagnose von Burnout
Es ist nicht immer einfach, Burnout von anderen „Krankheitsbildern“ wie Depression oder von anderen psychischen Störungen, von anderen „Leidenszuständen“ wie Unzufriedenheit oder Stress abzugrenzen. Erschöpfung, Niedergeschlagenheit, Schlafstörungen, sozialer Rückzug erinnern oftmals an Depression. Besonders die Endphase von Burnout gleicht oft einer klinischen Depression. Vordergründig sichtbare Symptome wie Angst- und Panikattacken können auf eine Angststörung hin- weisen. Chronische Muskelverspannungen, Herzrhythmusstörungen, Verdauungsprobleme, Probleme mit dem Blutkreislauf, das Unvermögen sich zu entspannen oder nervöse Ticks lassen manchmal eine Somatisierungsstörung vermuten. Ina Rösing fasst die Differenzen zwischen Burnout und anderen Diagnosen zusammen. Sie weist auf die bereits beschriebenen drei Dimensionen des Burnouts (emotionale Erschöpfung, Zynismus/ Depersonalisation, reduzierte Leistungsfähigkeit / Selbstwirksamkeit) hin, weiters auf den schleichenden Prozess der Chronifizierung und auf den Teufelskreischarakter von Burnout. (Rösing 2003, S. 78) Zwischen Burnout und Depression gibt es wichtige Überschneidungen – z. B. die emotionale Erschöpfung. Es gibt aber auch Unterschiede, wie Metaanalysen belegen. „Es zeigte sich, dass sich diese Begriffe (Burnout und Depression, S.G., C.U.) zwar überlappen, d. h. eine gewisse gemeinsame Varianz haben, die Burnout-Dimensionen der Depersonalisation und der reduzierten arbeitsbezogenen Selbstbewertung jedoch NICHT mit Depression korrelieren.“ (Rösing 2003, S. 81)
Nach der Diagnosestellung helfen uns gezielte Fragen bei der genauen Analyse der vier Ursachenfelder. „Was haben Sie selbst zu Ihrem Burnout beigetragen? Wie verstärkt Ihre Familie Ihre Erschöpfung? Welche Faktoren am Arbeitsplatz fördern das Ausbrennen? Welche gesellschaftlichen Bedingungen tragen dazu bei, dass Sie Ihre Belastungsgrenzen überschreiten?“ Wir legen eine möglichst konkrete Liste mit allen am Burnout beteiligten Kräften an. Je konkreter die Aufstellung ist, desto größer und rascher ihr therapeutischer oder präventiver Nutzen. Dabei hat sich eine „Hausübung“ bewährt: Wir laden die KlientInnen ein, die Liste zu Hause zu vervollständigen. Dann sollen sie eine Person ihres Vertrauens (Kollege, Partnerin etc.) um Ergän- zungen bitten.
Nach drei Jahren Kundenbetreuung in einer großen Bank war einer unserer Klienten, August Zadrazil, am Ende. Ein Nervenzusammenbruch brachte ihn zum Arzt und in die Therapie. In seiner Liste der persönlichen Anteile am Zustandekommen des Burnouts führt er an: „… ich habe sehr hohe Erwartungen an mich, versuche stets nach meinen Werten und Einstellungen zu handeln, mein gutes Image zu bewahren und niemanden zu enttäuschen. Wenn ich etwas nicht meinen Ansprüchen gemäß machen kann, dann lasse ich es lieber bleiben. Ich sage mir ,Sei kein Waschlappen. Wenn 100.000 Leute das jeden Tag schaffen, musst du das auch schaffen.’ (…) Ich versuche immer es allen Recht zu machen, denke an die anderen zuerst und sage nie ,Nein’. Das Problem habe ich mir viel zu lange nicht eingestanden, habe es zu spät erkannt und weggeschaut.“ Seine Lebens- gefährtin bestätigt in einem Brief an ihn: „Meiner Meinung nach hast du viel zu spät die Notbremse gezogen. Du hast viel zu lange geglaubt, dass du ein Versager wärst, wenn du den Hut drauf haust. (…) Du hast viel zu hohe Ansprüche an dich gehabt – keiner hat so hohe Ansprüche an dich wie du selbst. Du hast dich unter Druck gesetzt, wolltest den Job gut und es allen anderen Recht machen. Dabei hast du dir auch viel gefallen lassen und deine Gefühle oft verborgen. Oft hatte ich den Eindruck, du willst Haltung bewahren und denkst nicht daran, dass es okay sein könnte, diesen Job nicht machen zu wollen. Du warst ein braver Arbeiter, hast immer alle Aufgaben erledigt und versucht sie so gut wie möglich zu machen – auch wenn sie dir auf die Nerven gegangen sind.“
In vielen Fällen bestätigt die Vertrauensperson das Selbstbild der KlientInnen und ihre Einschätzungen der persönlichen Ur- sachen des Burnouts. Das hilft KlientInnen, Sicherheit zu gewin- nen – in einer Situation, in der der Glaube an sich selbst und seine Fähigkeiten verloren gegangen ist, in einer Situation, in der oft Zweifel an der eigenen Wahrnehmung bestehen. In der Therapie besprechen wir die Ergänzungen. „Da hat sie leider Recht“ ist ein Satz, den wir dabei oft hören. Parallel zur pro- blemorientierten Analyse persönlicher Faktoren stellen wir Fragen nach Ausnahmen und versuchen mit großer Neugier Ressourcen und Veränderungspotenziale zu entdecken.
Ähnlich gestaltet sich die Analyse im Bereich „Familie“: „Welche belastenden Faktoren lassen sich erkennen? Gibt es eine/n PartnerIn? Welchen Stellenwert haben Arbeit und Leistung in der Familie? Gibt es Schulden, finanzielle Belastungen, Beziehungsprobleme oder anhaltende Sorgen um Kinder, Eltern oder um die Gesundheit des Partners? Wie viel Freizeit gibt es? Wie wird sie verbracht?“ Besonderes Augenmerk gilt hier der Evaluation von Belastungsfaktoren, die nicht immer als solche ein- gestanden werden können, da es sich um „selbstverständliche“ Verantwortlichkeiten nahen Angehörigen gegenüber handelt. Wie bereits erwähnt, ließen sich bei fast allen KlientInnen mit Burnout zusätzliche, belastende Faktoren im Familienbereich entdecken: die pubertierende Tochter, eine Beziehungskrise, die krebskranke Schwester, der Tod des Vaters, die Pflege der Mutter. Dem Trichtermodell folgend analysieren wir dann mit den Betroffenen ihre Jobsituation. „Was konkret führt zur Erschöpfung? Wie kam es zur negativen Einstellung den KlientInnen/ KundInnen/ SchülerInnen gegenüber? Was lässt Sie an sich und an der Sinnhaftigkeit Ihrer Arbeit zweifeln?“ Lassen sich die Faktoren in diesem Bereich nicht genau eingrenzen, kann es hilf- reich sein, eine Struktur vorzugeben. Das „Areas of Worklife Survey“ (AWLS) von Michael Leiter stellt eine Möglichkeit dar, die Situation am Arbeitsplatz zu evaluieren.6 Eine weitere Möglichkeit, in Therapie, Coaching und Supervision arbeitsplatz- bezogene Ursachen zu analysieren, ist die Flipchart-Abfrage. Dabei werden die sechs Faktoren (Arbeitsbelastung, Kontrolle/ Einfluss, Anerkennung, Gemeinschaft, Fairness und Werte) auf ein Flipchart geschrieben und das Spannungsfeld – Passung (Kongruenz) und Nicht Passung (Inkongruenz) – kurz erläutert. Die KlientInnen – in der Teamsupervision das Team – beurteilen die sechs Faktoren im Hinblick auf den Grad ihrer Übereinstimmung von persönlichen Bedürfnissen und Jobanforderungen. (Kongruenz, Inkongruenz). Für extreme Ausprägungen vergeben sie Punkte. Fast immer zeigt sich ein relativ klares Bild. Jene Bereiche, die helfen die Motivation zu erhalten, und jene Be- reiche, die an den Rand oder auch mitten ins Burnout geführt haben, werden deutlich sichtbar.
Überraschende Ergebnisse sind dabei nicht selten. So brachte eine Analyse mittels Punktabfrage in einem Team aus dem Gesundheitsbereich folgende aufschlussreiche Ergebnisse: Mit großer Eindeutigkeit wurde dem Team bestätigt, dass es die Gemeinschaft, die Zusammenarbeit im Team und der Faktor Werte ist, der das hohe Engagement der zehn MitarbeiterInnen (einschließlich Teamleiterin) erklärt. Es gibt in der Organisation keine sich widersprechenden Werte, auch die Ziele der Organisation decken sich mit denen der MitarbeiterInnen. Interessant war das Ergebnis im Bereich Arbeitsbelastung. Es bestätigte dem Team eine Ungleichverteilung der Aufgaben. Seit einer kürzlich erfolgten Umstrukturierung hatten einige MitarbeiterInnen eine wesentlich höhere Arbeitsbelastung. Dies wurde auch von den anderen KollegInnen bestätigt. Beachtenswert war, dass sich diese Ungleichverteilung nicht auf den Bereich Fairness auszuwirken schien. Es wurde aber als potenzielle Gefahrenquelle erkannt und Gegenmaßnahmen wurden eingeleitet. Die kritischen Bereiche waren Kontrolle und fehlende Anerkennung. Dort sollte es Änderungen geben. KlientInnen in Therapien, Teammitglieder im Teamcoaching sind oft über ihre Punktvergabe am Flipchart überrascht. Dabei wird nämlich oft sichtbar, dass nicht alles schlecht ist. Zeigt eine spontane, oberflächliche Einschätzung oft einen völlig negativen Job, in dem alles schlecht ist, weist eine genaue Analyse mitunter oft auch positive Aspekte auf. Das sind jene Faktoren, die einen Verbleib erklären und rechtfertigen. Auf jeden Fall kriegen KlientInen und TherapeutInnen, Teams und SupervisorInnen ein klareres Bild von jenen Aspekten, die es zu erhalten, und von jenen, die es zu verändern gilt. Viele Betroffene denken – so wie die Allgemeinheit – bei Burn- out zuerst an Arbeitsüberlastung. Sie denken an den Umfang der Arbeit, wenn sie erschöpft und ausgebrannt sind. Eine genaue Analyse zeigt aber, dass dies oft nicht der kritischste Fak- tor ist. Der liegt manchmal woanders. Es fehlt die Anerkennung oder sie ist nicht adäquat. Die eigene Leistung wird von anderen nicht wahrgenommen oder gering geschätzt. Es fehlen Vorgaben, Informationen oder Ressourcen, um seine Arbeit gut machen zu können. Ängste und Misstrauen herrschen in der Abteilung. Schwächen, Unsicherheiten dürfen nicht gezeigt werden, Fehler dürfen keine gemacht werden. Ressourcen und Belohnungen werden nicht fair vergeben. Es zählt mehr, wen man kennt, als was man kann. Und es gibt Wertekonflikte, die das Weiterarbeiten erschweren.
Auch für August Zadrazil war es nicht die Arbeitsbelastung, die ihn ins Burnout trieb: „Ich habe als Kundenbetreuer in der Bank jahrelang meinen Job gerne gemacht. Es war mir eine Freude, den Kunden zu helfen, für ihre finanziellen Anliegen die best- mögliche Lösung zu finden. Heute geht es nur mehr ums Verkaufen. Ziele und Zahlen zählen mehr als die Wünsche der Kunden. Wöchentlich wird mir mitgeteilt, dass ich die Vorgaben nicht erreicht habe, und erhalte ich Anweisungen für konkrete Vorgehensweisen zum Verkauf unserer Produkte.“ Die kritischen Faktoren für August Zadrazil sind nicht die Arbeitsbelastung oder die Gemeinschaft, sondern das Missverhältnis im Bereich Kontrolle und Werte.
Anschließend analysieren wir mit unseren KlientInnen gesellschaftliche Faktoren, die dazu beitragen auszubrennen. Was wir im Rahmen einer therapeutischen Behandlung leisten können, ist die Dekonstruktion eindimensionaler Karrierebilder und ungesunder Leistungsbegriffe. Ein dekonstruktivistischer Blick schärft unsere Wahrnehmung der Konstruiertheit von Annahmen, er unterstützt uns beim Perspektivenwechsel. Im Sinne von Konrad P. Grossmann nutzen wir die Dekonstruktion als Erweiterung (Grossmann 2000, S. 71). „Was hat Ihnen Ihr Begriff von Karriere ermöglicht? Wo mussten Sie Abstriche machen? Welche Auswirkungen haben diese Abstriche? Woher kommen Ihre Leistungsansprüche? Worauf mussten Sie aufgrund Ihrer hohen Ansprüche verzichten? Was könnte sich zu Ihrem Perfektionismus im Sinne eines Ausgleichs gesellen?“ Ausgelöst durch Fragen wie diese, zeichnen sich neben der dominanten Erzählung alternative Narrative ab.
Burnout als Ressource
Alle unsere GesprächspartnerInnen, viele unserer KlientInnen berichten nach dem bewältigten Burnout von einer größeren Sensibilität ersten Symptomen gegenüber. Ihr Zittern ist für Verena Stelzer heute ein Alarmzeichen. Reagiert Astrid Weber auf Anforderungen von außen aggressiv, weiß sie, dass sie bes- ser auf sich achten muss. Wird Susanne Prems Humor zynisch, setzt sie sich zu einem Puzzle oder greift zum Gartenwerkzeug. Die Aufmerksamkeit gegenüber ersten Anzeichen macht sie vorsichtig und sie beginnt, ihr Verhalten wieder zu verändern. Da Burnout kein plötzlich auftauchendes Syndrom ist, sondern sich langsam einschleicht, kann es frühzeitig abgefangen wer den, wenn man die Zeichen richtig erkennt. Allerdings – und auch das erfahren wir in unserer täglichen Arbeit mit Burnout- KlientInnen immer wieder: Jene Eigenschaften, jene Verhaltensweisen, die sie in ein Burnout führten, können als wichtige Ressource beim Weg heraus aus der Erschöpfung genutzt werden. Wer es gewohnt ist, viel zu leisten, ist oft bereit, viel an sich zu verändern, um dem Burnout zu entkommen.
Literatur
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Geyerhofer S, Lenglachner M (2006) Systemische Ansätze in der Prä- vention und Behandlung von Burnout. Unveröffentlichter Vortrag im Rahmen des Internationalen Burnout-Kongresses in Wien, Oktober 2006
Jene Eigenschaften, jene Verhaltenswei- sen, die KlientInnen in ein Burnout führten, können als wichtige Ressource beim Weg heraus aus der Erschöpfung genutzt werden.
Grossmann, K (2000) Der Fluss des Erzählens. Narrative Formen der Therapie. Carl-Auer-Systeme Verlag, Heidelberg
Leiter M, Maslach C (1998) Burnout. In: Encyclopedia of Mental Health. Volume 1:347-357
Leiter M, Maslach C (2006) Burnout and Career Crisis. Mid-Career- Issues. Unveröffentlichter Vortrag im Rahmen des Internationalen Burnout-Kongresses in Wien, Oktober 2006
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Mag. Stefan Geyerhofer / Dr. Carmen Unterholzer Institut für Systemische Therapie (IST)