Pädagogische Aspekte der Salutogenese können folgendermassen zusammengefasst werden:
- Lerne darauf zu achten, welche Erfahrungen du im Leben gesammelt hast, um Probleme zu lösen und Schwierigkeiten zu bewältigen.
- Versuche komplexe Situationen zu verstehen, – habe Selbstvertrauen aufgrund deiner Fähigkeiten, die sich bewährt haben,
- und erkenne den Sinn in dem, was du tust.
Es gilt also, aktive Bewältigungsstrategien bei sich selbst zu erkennen und einzusetzen, statt eine passive Versorgungshaltung einzunehmen. Das Konzept der Salutogenese sollte als Herausforderung in einem Prozess des lebenslangen Lernens verstanden werden. Antonovsky ging von einer Stabilität des Kohärenzgefühls im Erwachsenenalter aus. Entgegen dieser Annahme weisen Studien darauf hin, dass mit zunehmendem Alter auch die Stärke des Kohärenzgefühls zunimmt. Faktoren eines „guten“ bzw. „erfolgreichen“ Alterns sind objektive Lebensbedingungen, wie Einkommen und Lebensstandard, Gesundheit, angemessenes Wohnen in einem sozialen Netzwerk, gesellschaftliche Partizipation und sinnvolle Freizeitgestaltung. Diese Faktoren prägen ganz wesentlich die Lebensqualität.
Zum Erwerb salutogener Ressourcen bedarf es letztendlich verschiedener mentaler Fähigkeiten, wie sie Ortwin Meiss auch für Führungskräfte beschrieben hat: Fähigkeit zur Selbstkritik, Bereitschaft aus Fehlern zu lernen, Selbstverantwortung zu übernehmen, die Fähigkeit, sich Hilfe zu holen, eine Ziel- und Lösungsorientierung zu haben und offen für Neues zu sein. Die einzelnen Schritte pädagogischer Aspekte zur Umsetzung des Konzeptes der Salutogenese können sein:
Lernen, was Salutogenese bedeutet
Man bedarf eines Grundlagenwissens zum Verständnis des Kohärenzgefühls mit seinen Konstrukten der Verstehbarkeit, Handhabbarkeit (Problemlösungsfähigkeit) und Sinnhaftigkeit. „Sinngebungsfähigkeit“ bedeutet für Menschen in der zweiten Lebenshälfte, für chronisch Kranke und Ältere nicht vordergründig die Suche nach äusseren Werten, wie Geld, Anerkennung, Zeitvertreib und nach „Kicks“, sondern vor allem die Suche nach Antworten auf Fragen der Spiritualität (Jäger 2007): Woher komme ich? Wer bin ich? Warum bin ich hier? Wohin gehe ich? Religionen, Philosophien und sinngebende Tätigkeiten, z.B. im sozialen Kontext, können hier vordergründige Orientierungsbereiche sein. Es können aber auch Hobbies sein, denen man einen Sinn zuordnet. Bedeutsam erscheint, dass jeder Mensch einen Aspekt findet, der ihm entspricht.
Sichtweisen der Salutogenese üben
Es sollte geübt werden, Pathogenese und Salutogenese im Verständnis eines Gesundheits-Krankheits-Kontinuums zu betrachten (Jork u. Peseschkian 2006). Dabei kann man sich Fragen zu den drei Konstrukten der Salutogenese stellen, wie z.B. zur Verstehbarkeit: Was sind wesentliche Ursachen für meinen derzeitigen körperlichen und geistigen Gesundheits- bzw. Krankheitszustand? Bedeutet Krankheit eine Bestrafung für mich? Kann ich Krankheit oder Beschwerden als Chance zu Veränderungen ansehen? Glaube ich, dass für meine Gesundheit eine Änderung der Lebensweise notwendig ist? Wer muss mehr für meine Gesundheit tun – der Arzt oder ich selbst?
Fragen zur Problemlösungsfähigkeit können lauten: Was hat mir in schwierigen Situationen besonders geholfen? Woher beziehe ich meine Informationen zu Gesundheit und Krankheit?
Vertraue ich allein den Anweisungen des Arztes oder such ich noch anderswo Rat und Hilfe? Was habe ich gegen meine derzeitigen Beschwerden schon selbst getan? Was tue ich, wenn körperliche oder seelische Beschwerden auftreten? Was müsste ich tun, damit es mir besser geht?
Zur Sinnhaftigkeit des eigenen Daseins kann man fragen: Gibt es Wünsche, die ich mir bisher nicht erfüllt haben? Was glaube ich, warum ich lebe? Was betrachte ich als Ziel meines Lebens? Habe ich eine Lebensphilosophie? Was möchte ich erreichen und was wäre der nächste Schritt dahin? Was ist mir im Leben besonders wichtig? Wofür würde ich mich ganz besonders einsetzen?
Gesundheitserhaltende Ressourcen erkennen und vermehren.
Wenn man ein grundsätzliches Verständnis des Konzepts der Salutogenese erworben hat, ist es erforderlich, weiterhin aktiv an den unterschiedlichsten Bereichen des Lebens teilzunehmen. Nur durch Teilnahme können bisher gewonnene Erfahrungen angewendet und durch neu gewonnene oder überprüfte ergänzt werden; der Bestand an gesundheitserhaltenden Ressourcen kann wachsen.
Erkennen, was mich am meisten behindert
Häufig klagen Menschen darüber, dass sie Ziele, die sie sich gesetzt haben, nicht erreichen können. Ursachen dafür werden dann gewöhnlich in äußeren Umständen oder bei anderen Menschen gesucht. Versäumt wird der Blick auf sich selbst: Die größte Behinderung ist oft der eigene, ungezähmte Geist. Wir sind meist wenig geübt, uns selbst zu betrachten und zu erkennen, wodurch unser Denken, Kommunizieren und Handeln bestimmt wird. Meist sind es unreflektiert übernommene Vorstellungen darüber, was normal ist, wie man sich zu verhalten hat oder was man von anderen einfach erwartet (Jork 1994). Erfolg ist das Ergebnis unseres Denkens (Moestl 2009), denn alles entsteht zuerst im Geist. Diese Sichtweise bedarf der Übung.
Alles entsteht zuerst im Geist
Damit ist dieser die Ursache aller Erfahrung, ob gute oder schlechte. Deswegen ist es notwendig, zuallererst zu lernen, mit dem Geist zu arbeiten. Es ist eine Frage von Motivation und Geduld, um das zu akzeptieren und Veränderungen der eigenen Geisteshaltung üben zu wollen (Jork 1999). Geistesschulung bedeutet dabei zuerst, direkt und klar zu erkennen, wie der eigene Geist arbeitet. Dann wird man auch einsehen: Nicht die Umstände bestimmen des Menschen Glück oder Unglück, sondern seine Fähigkeiten zur Bewältigung der Umstände. Oder anders ausgedrückt: Nicht die Ereignisse sind wichtig, sondern meine Reaktion darauf.
Die Frage „Wer bin ich?“ wird in indischen Weisheitslehren immer wieder gestellt. Der kritische Blick auf sich selbst ist jedoch oft nicht angenehm und schmeichelhaft; ein Sich-infrage-stellen deckt u.U. auch dunkle Anteile unserer Persönlichkeit auf. Wem dies allerdings gelingt, der arbeitet an einem wichtigen Beitrag für das Konstrukt der Sinnhaftigkeit im Konzept der Salutogenese.
Prof. Dr. med. Klaus Jork
Literatur
Jäger, W.
Westöstliche Weisheit – Visionen einer integralen Spiritualität. S. 21-50.
Theseus, Stuttgart 2007.
Jork, K., N. Peseschkian
Salutogenese und Positive Psychotherapie. S. 26-32.
Hans Huber, Bern 2006.
Jork, K.
Körper und Kosmos in der tibetischen Heilkunde. S. 59-75.
In: P. Kemper (Hrsg.): Die Geheimnisse der Gesundheit.
Insel, Frankfurt a.M. Leipzig 1994.
Jork, K.
Salutogenese und traditionelle Medizinsysteme – Über Krankheitsursachen und Krankheitsbewältigung in einer kulturvergleichenden medizinischen Anthropologie. S. 75-81.
In: Benad, M., R. Töpelmann (Hrsg.): Annäherung an das Heilige.
Kohlhammer, Stuttgart 1999.
Meiss, O.
Mentale Fähigkeiten von Führungskräften.
Persönliche Mitteilung.
Moestl, B.
Die Kunst, einen Drachen zu reiten. S. 146-165.
Knaur, München 2009