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Bildung „fort von…“ oder „hin zu…“

von Jürgen Hargens und Uwe Grau

Hier folgt eine leicht gekürzte Version des gleichnamigen Beitrags im Buch „Einfach kurz und gut. Zur Praxis der lösungsorientierten Kurztherapie“.

Kontextuelles

Der Fortbildungskontext, über den wir hier berichten, umfasst zwei unterschiedliche Bereiche, so dass allein daraus interessante Anregungen und Befruchtungen entstehen.

Grundsätzliches

Fortbildungen werden i.a.R. dann angestrebt, wenn die Idee besteht, etwas Neues zu lernen oder in der eigenen Praxis erkannte Schwachstellen auszubessern – sie werden also zumeist unter einer „Problem­perspektive“ angegangen.

Lösungsorientiertes Arbeiten kehrt diesen Blick gleichsam um, achtet auf Stärken, Kompetenzen, Ressourcen, die es zu nutzen und auszunutzen gilt. In diesem Sinne kommt es uns darauf an, die individuellen Ressourcen der Auszubildenden stärker herauszuarbeiten und ihnen so ihre eigenen Möglichkeiten vor Augen zu führen, auf denen sie aufbauen können. Dies entspricht der lösungsorientierten Auffassung, dass es leichter fällt, ein bereits gezeigtes Verhalten auszuweiten, zu vergrössern – während es viel schwieriger scheint, ein (auch unerwünschtes) Verhalten zu beenden.

Dabei kann es nun allerdings nicht darum gehen, in Beliebigkeit zu verfallen, also die eigenen Ressourcen und Möglichkeiten nach Belieben einzusetzen. Der theoretische Hintergrund lösungsorientierter Arbeit bildet vielmehr den Rahmen, den Hintergrund, vor dem das eigene Handeln bewertbar wird.

In diesem Sinne konfrontieren wir die Auszubildenden relativ rasch mit zwei unserer wesentlichen Trainingsannahmen:

Wie kannst Du vermeiden, ein Original zu werden?

Die Antwort lautet schlicht, dass es unmöglich ist, da jede Person definitionsgemäss ein Original darstellt. Es kommt uns daher darauf an, sich dieser Idee bewusster zu werden und sie zu nutzen.

Was immer Du tust, ist in Ordnung solange Du hinterher eine eindeutige und theoretisch konsistente Begründung dafür angeben kannst.

Damit wollen wir Auszubildenden darauf hinweisen, dass lösungsorientierte Arbeit ist kein striktes und rigides Einhalten und Abspulen von Techniken/Fragen, sondern die Umsetzung einer lösungsorientierten Idee in konkrete Handlungen (Lipchick, 1994). Solange diese „rahmende Idee“ (Durrant 1995) das therapeutische Handeln bestimmt, solange bewegt sich der Therapeut, die Therapeutin im Rahmen lösungsorientierter Arbeit.

Für die therapeutische Praxis hat MILLER dies pointiert  unter der Überschrift „die Symptome der Lösungen“ zusammengefasst, wenn er feststellt: ,,Anders als Probleme, die gemäss  der  Alltagsweisheit  wachsen und wuchern, wenn sie ignoriert werden, scheinen Lösungen einfach zu verschwinden, wenn Klinikerlnnen sie nicht bemerken“ (1992, S. 2).

Wir benutzen unsere beiden Grundannahmen daher auch, um den Blick der Auszubildenden auf die Ressourcen, über die sie verfügen, zu lenken – auf Ressourcen, die sich aus ihren Herkunftsfamilien, ihren Ausbildungen, ihren Beziehungen etc. ergeben.

Fort vom Defizit – hin zu Ressourcen

Ein Training umfasst für uns daher verschiedene Aspekte: Ich lerne, mich zu verhalten, was nichts anderes bedeutet, als dass ich mein Verhaltensrepertoire erweitere. Ich lerne zugleich, meine (Re-)Aktionen auf (Re-)Aktionen meiner Kundinnen zu erweitern: Tut die Kundin dies, dann tue ich das etc. Alles dies lässt sich unter der Bezeichnung „skill­training“, also Üben von Fertigkeiten, zusammenfassen.

Ein weiterer, u.E. wesentlicher Aspekt jeden Trainings berührt die Frage, was ich tue, wenn die Kundin nicht „erwartungsgemäss“ reagiert. In der Praxis wird dies deutlich, wenn TeilnehmerInnen darüber berichten, dass sie einige ihrer neu erlernten Fertigkeiten eingesetzt haben, z.B. nach Ausnahmen und Ressourcen zu fragen, dass der Kunde, die Kundin aber nicht „erwartungsgemäss “ reagiert habe – sie habe diese Ausnahmen nicht benannt, sondern vielmehr weiter über Probleme und Schwierigkeiten geredet.

Für uns stellt dies einen zentralen Aspekt jeder Fortbildung dar, denn für uns repräsentieren diese „Knackpunkte “ die Stellen, anderen erkennbar wird, inwieweit das Training ausschliesslich das Erlernen von Techniken umfasst oder inwieweit es auch die Klärung des zugrundeliegenden Menschenbildes mit einbezieht und handlungsleitend macht (vgl. JONES 1995, S. 208f).

In diesem Sinne scheint es uns wichtig, das, was wir tun, vor dem Hintergrund eines Rahmens zu beschreiben, der das absteckt, was im Training erreicht werden soll. Dies beschreibt für uns zugleich einen wichtigen Aspekt lösungsorientierten Arbeitens – “zielorientiert“.

Zur Entwicklung dieses Rahmens haben wir versucht, einige Grundlinien lösungsorientierten Arbeitens darzustellen (HARGENS 1995), die sowohl die praktische Arbeit (“Therapie“) wie die Fortbildung (“Training”) leiten. Diese Grundlinien stellen wir den eher klassischen therapeutischen Auffassungen gegenüber, um – so unsere Hoffnung – damit im BATESONschen Sinne, einen Unterschied zu machen, der einen Unterschied macht, also „neue“ Information zu (er-)schaffen.

Damit haben wir den Rahmen unserer Fortbildung grob umrissen. Zwei Aspekte besitzen dabei für uns einen besonderen Stellenwert.

Da ist zunächst das Verhältnis von Haltung und Technik – eine Frage, die eine Art „Meta-Rahmen“ bildet und sich immer wieder durch die einzelnen Ausbildungsabschnitte hindurchzieht. Dieser Aspekt zielt auch auf die Frage der Verantwortung für mein professionelles Handeln, so wieder in unser anderen zentralen Annahme deutlich hervortritt: Warum tue ich das, was ich tue?

BFTC,,klassisch“
Schilderung erfreulicherer ZukunftSchilderung unerfreulicher Gegenwart und Vergangenheit
Hoffnungen und ErwartungenWissen und Information
kooperierenWiderstand
K. wird sich verändernK. wird sich nicht ändern
Erfolge der VergangenheitMisserfolge beim Lösen
Anzeichen für Lösungen (z.B. Ausnahmen)Details der Klage
Lösungen sind andersProbleme sind gleich

Abb.1: Unterschiede, die einen Unterschied machen?

Es ist unschwer zu erkennen, dass sich dieses Verhältnis in unserer zweiten Trainingsannahme – Was immer Du tust, ist in Ordnung – solange Du hinterher eine eindeutige und theoretisch konsistente Begründung dafür angeben kannst – widerspiegelt.

Der zweite Aspekt betrifft die (Eigen-) Definition als TherapeutIn: Wie konzipiere/konstruiere ich mich selber? Über die lösungsorientierte Technik der Skalierungsfrage schaffen wir eine Möglichkeit, diesen Aspekt immer wieder zu thematisieren. Wir können vor den einzelnen Übungsabschnitten der Ausbildung – oder aber vor jeder Therapiesitzung – (uns) die Frage stellen: Auf einer Skala von null bis zehn, wobei null bedeutet „ganz schlecht, schlechter geht es nicht“ und zehn „gross­ artig, besser geht es nicht“ – wie schätze ich jetzt meine Kompetenz als lösungsorientierte BeraterIn ein?

Es ist unschwer zu erkennen, dass sich hier unsere erste Trainingsannahme – es ist unvermeidlich, ein Original zu werden, also nutze Deine Ressourcen – widerspiegelt.

Diese beiden Aspekte ziehen sich als eine Art roter Faden durch die gesamte Fortbildung und sollen hier nicht weiterverfolgt werden. Wir wollen nun konkreter auf einige weitere Merkmale unseres Trainings eingehen, bevor wir dann einige Übungen im einzelnen beschreiben.

Rollenspiel, Selbsterfahrung oder…?

Wir sind immer stärker davon abgekommen “Rollenspiele“ in unser Programm aufzunehmen. Wir definieren „Rollenspiel“ als eine Übungssituation, in der vorgegebene, mehr oder minder klar strukturierte Rollenvorgaben gemacht werden, die von den TeilnehmerInnen dann gespielt und ausgefüllt werden.

Wir bevorzugen Übungen, die Fragestellungen oder Probleme der TeilnehmerInnen selbst zum Ausgangspunkt nehmen, in diesem Sinne also echt“ sind. Wir stellen zu Beginn des Trainings dar, dass wir Übungen machen werden kurze Beratungssequenzen mit spezifischen Aufgabenstellungen für die BeraterIn bzw. das Beratungsteam. Diejenigen, die sich als Kundin zur Verfügung stellen, bitten wir “eine eigene Fragestellung, ein eigenes Problem einzubringen, da nur so erlebbar wird, welche Wirkungen das Verhalten der BeraterIn hervorruft und die BeraterIn erleben kann, wie sich ihr Verhalten auf die Kundin auswirkt. In diesem Sinne hat die Auszubildende in der Funktion der KundIn eine Möglichkeit, selber zu erleben, wie es „sich anfühlt, auf diese Weise“ beraten zu werden.

Wir machen deutlich, dass es sich nicht unbedingt um ein grosses Problem handeln muss. Es reicht aus, wenn es etwas ist, was die KundIn einmal „anders“ angehen möchte – eine Alltagserfahrung, ein sich wiederholendes   Dilemma, ein sog.  ,,Nicht-Problem-Problem“ oder eine Schwierigkeit, die für die Person bedeutsam ist. Anders gesagt, das Thema sollte handlich abgepackt sein, gleichsam handwarm und den Puls nicht unbedingt rasant beschleunigen. Die Entscheidung liegt aus­ schliesslich bei der KundIn – der FortbildungsteilnehmerIn -, die auch entscheidet, wieviel sie „preisgeben“ möchte.

Die Übungen werden in einer strikten räumlichen Struktur durchgeführt:

KundIn und Beraterln(nen) sitzen mit dem Rücken zur Fortbildungsgruppe, um möglichst wenig von deren Reaktionen beeinflusst zu werden. Unsere Erfahrung zeigt, dass dieses Setting anfangs ungewohnt scheint, allerdings von den TeilnehmerInnen rasch angenommen und in der Folge positiv (ein)geschätzt wird.

Nach Abschluss der Übung wenden sich KundIn und Beraterln(nnen) wieder der Gruppe zu. Die erste Frage, die von uns Leitern gestellt wird, richtet sich an die Kundin: “Wie geht es Ihnen jetzt?“ Diese Frage und die darauf folgende Antwort gibt einen Einblick in Beschreibungen (Re-Konstruktionen) subjektiver  Erlebnisabläufe.  Dieselbe Frage richten wir dann an die BeraterIn.  Sofern „Störungen“, und gute Gefühle“ usf. rückgemeldet werden, klären wir, inwieweit diese sofort anzusprechen und zu bearbeiten sind.  Danach erfolgt die Besprechung der Übung anhand der die Übung leitenden Aufgabe, wo dann auch die Beteiligten (KundIn und BeraterIn) ihre Erfahrungen einbringen.

Unsere Erfahrungen weisen daraufhin, dass bei einer lösungsorientierten Fortbildung kaum „Störungen“ gemeldet werden – ein Hinweis dar­auf, dass sich KundInnen anerkannt, respektiert und in ihren Kompetenzen gestützt fühlen. Damit erhalten die TeilnehmerInnen eine Ahnung, welche „Atmosphäre “ diese Art der Beratung hervorrufen und erschaffen kann.

Exemplarisch möchten wir dazu die Rückmeldung einer TeilnehmerIn eines Workshops, Ärztin in einer Fachklinik für Alkoholkranke, wieder­ geben, die bisher über keine direkten Erfahrungen mit dem lösungsorientierten Ansatz verfügte:

„In den fünf Stunden des Workshops … wurde mir klar, u.a. auch auf Grund meiner persönlichen Erfahrungen, Zweifel und Versagensängste, die ich in Gesprächen mit PatientInnen sammeln musste – wie entscheidend das scheinbar unvollendete und dadurch unkomplizierte „Zurückgeben“ der Suche nach und des Beginns eines Weges nach eigenen Zielen, eigenen Vorstellungen, eigenen Entscheidungen der Betroffenen ist. Ganz deutlich wurde mir das in einem Rollenspiel mit Jürgen Hargens, dass ich aus meiner Sicht „problemgeladen“ intensiv ziel- und problemlösungsorientiert unter „umgekehrten Vorzeichen “ er­lebte. Nicht die Erörterung der Umstände der Probleme bieten eine Chance der Lösung, sondern das Angebot und die gemeinsame Suche nach Zielen. So befand ich mich am Ende des Gesprächs auf der „Befindlichkeitsskala“ ganz oben, hatte mehr Lösungsmöglichkeiten als mein Gesprächspartner gefunden und – immerhin – die scheinbare Unlösbarkeit“ des eigenen Problems gänzlich aufgegeben. Gerade diese Spontanität, das unvollendet Begonnene und die Lösung des eigenen Drucks im Gespräch (Heute und hier muss ich es für jemanden schaffen!) waren für mich ganz wichtige Erfahrungen, die ich gerne vertiefen möchte und die sich tatsächlich im Patientengespräch als eine wichtige Möglichkeit der Annäherung erweisen.“

Ein Wort zu den Rückmeldungen – im Sinne lösungsorientierten Vorgehens erscheint es uns wichtig, den TeilnehmerInnen Gelegenheiten zu geben, etwas über ihre Stärken, ihre Ressourcen zu erfahren. Rückmeldungen zu den Übungen orientieren sich deshalb an dem, was gut gelaufen ist – im Sinne des lösungsorientierten Axioms:

„Wenn etwas funktioniert, mach‘ mehr davon“.

Damit soll zugleich die mögliche Antizipation von Prüfungs- oder Testsituationen vermieden werden. Ein wesentliches Ausbildungsziel besteht darin, den Auszubildenden den Blick auf eigene Ressourcen zu eröffnen, das Verbessern der eigenen Fertigkeiten zu erleichtern und persönliche Unterschiede zu respektieren.

Ausbildungsphilosophie

Alle folgenden Übungsbeispiele sollen auch so betrachtet werden, dass sie Anregungen setzen, “anders“ zu handeln und in den Reflexionen über das, was geschehen ist, Möglichkeiten zu entwerfen, die eigenen Ressourcen kreativ und nutzvoll zu erweitern.  Für uns stellt lösungsorientiertes Arbeiten einen spezifischen Ansatz dar, den wir für wünschenswert halten – wobei wir zugestehen, dass andere diesen Ansatz für nicht oder weniger wünschenswert halten. Insofern begreifen wir Fortbildung als kontinuierlichen Klärungsprozess des eigenen Standpunktes bzw.  Ausgangsortes und nicht als „Verkaufsstelle von besten Konzepten“. Für uns bleibt es wichtig, dass die Teilnehme­ rinnen sich selber entscheiden, ob sie diesem Modell folgen oder es für sich zurückweisen – diese Grundidee entspricht dem von Foersterschen Grundprinzip ethischen Handelns, die Wahl- und Handlungsmöglichkeiten zu erweitern.

Übungen

“Vom Guten im Schlechten“

In unserer lösungsorientierten Fortbildung versuchen wir, den TeilnehmerInnen von Anfang an einen grundlegenden Aspekt  nahezubringen – wir bemühen uns, ihnen eine Idee darüber zu vermitteln, ,,Probleme“ – also das Thema von Therapie und Beratung –  ,,anders“ zu betrachten, eine andere, ungewohnte „Linse“ (Hoffmann, 1991) zu benutzen, um sich an einen anderen Blick zu gewöhnen, sich mit ihm  anzufreunden. Dies zeigt sich vor allem in unserer Anfangsübung, die mittlerweile fast eine Art „Standard“ eines jeden Kurses oder Workshops geworden ist: Um­deuten.

Beispiel: Umdeuten – Kurzfassung

Ein Stuhl wird aus dem Kreis der TeilnehmerInnen genommen und so gestellt, dass die Person, die sich daraufsetzt, mit dem Rücken zum Kreis sitzt und die TeilnehmerInnen nicht sehen kann. Wir bitten jemanden, sich auf den Stuhl zu setzen, der/die ein Problem, eine Fragestellung einmal „anders“ betrachten lassen möchte mit dem „Risiko“, als ProblembesitzerIn das Problem eventuell zu verlieren. Diese KundIn stellt ihr Problem in zwei oder drei Sätzen – also kurz – vor, und die anderen TeilnehmerInnen beschreiben dann der Reihe nach möglichen positiven Aspekten des Problems, mögliche Vorteile, möglichen Nutzen etc. Wir betonen, dass es wichtig ist, kurze positive Beschreibungen abzugeben und dies nacheinander reihum zu machen.

Dann läuft die Übung ab wie dargestellt. Sie endet nach zwei bis vier Runden „umdeuten“.

Während die Teilnehmerinnen anfangs von Schwierigkeiten berichten, positive Aspekte zu finden, zeigen sie sich immer wieder überrascht, dass sich tatsächlich positive Aspekte in solcher Zahl (er-) finden lassen – wobei die Ideen der anderen sich überaus „ansteckend“ auf das Hervorbringen eigener Ideen auszuwirken scheinen.

Da wir diese Übung nutzen, um zum einen von Problemperspektiven wegzukommen und zum anderen, um spielerisch Anstösse zu geben, werden die Umdeutungen nicht weiter kommentiert, die Rückmeldungen der TeilnehmerInnen, wie es ihnen ergangen ist, werden nicht „zerredet“, sondern einfach „stehengelassen“.

Vom Problem zu Ausnahmen und Lösungen

Mit der hier vorgestellten Übung hoffen wir, einen Rahmen geschaffen zu haben, der den Blick auf Ausnahmen und Lösungen – Kernstück lösungsorientierten Arbeitens – richten lässt. Wir führen diese Idee ein, indem wir darauf hinweisen, dass Probleme zumeist nie jeden Tag und dann auch noch vierundzwanzig Stunden auftreten, dass Menschen neben Problemen auch Stärken und Ressourcen haben sowie Zeiten, wo das Problem „irgendwie“ nicht „da“ ist. Diese „Ausnahmezeiten“ sollen nun erarbeitet werden.

In der Auswertung und Weiterführung ist es uns wichtig, herauszuarbeiten, dass sich „Ausnahmen“ und „Lösungen“ im Wesentlichen nur durch das Kriterium der Zeit unterscheiden. Ausnahmen sind Ereignisse in der Gegenwart oder in der Vergangenheit – sie sind passiert oder passieren gerade jetzt. Lösungen sind demgegenüber Handlungsformen in der Zukunft. Für die BeraterIn ergibt sich daraus wieder eine Wahlmöglichkeit, in welche Richtung sie geht, welche Zeit sie hervorhebt – Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft.

Eigene Ressourcen

Nachdem die Fortbildungsgruppe einige Zeit zusammen gearbeitet und sich kennengelernt hat – sei es im Verlaufe eines zweitägigen Workshops oder eines mehrteiligen Kurses – möchten wir den Blick auf die Stärken der TeilnehmerInnen richten und ihnen zugleich ein wichtiges Instrument lösungsorientierten Arbeitens nahebringen: Komplimente.

Wir haben wohl alle schon einmal die Erfahrung gemacht, wie schwer es uns fällt, Komplimente einfach anzunehmen – ohne etwas zu erwiedern oder uns zu fragen, was wir denn nun dafür (als Gegenleistung) tun sollen. Unsere Erziehung und unsere sozialen Normen scheinen eher dem Misstrauen Vorschub zu leisten, als zuzulassen, dass unser eigenes Handeln öffentlich positiv bewertet wird.

Beispiel: Lob und Kompliment

Wir bitten jede TeilnehmerIn auf einem Zettel drei Dinge aufzuschreiben, für die er/sie gerne gelobt oder komplimentiert werden möchte.  Die LeiterIn sammelt alle Zettel ein. Dann wird ein solcher Wunsch von der LeiterIn laut vorgelesen, allerdings so, dass nicht zu erkennen ist, von wem der Zettel geschrieben wurde. Alle TeilnehmerInnen machen dann nacheinander reihum ein Kompliment – auch diejenige, die den Zettel geschrieben hat. Die LeiterIn achtet darauf, dass von jeder TeilnehmerIn ein Wunsch vorgelesen und komplimentiert wird.

Eine Variante dieser Übung besteht darin, genauer spezifizieren zu lassen, worauf sich die Dinge, für die ein Lob oder Kompliment gewünscht wird, beziehen – auf Verhaltensweisen, für die man sich mehr Lob wünscht bzw. für die man noch nicht genug Lob erhalten hat. Damit lassen sich in bestimmten Fortbildungskontexten allgemeine Angaben im Sinne sozial erwünschten Verhaltens stärker umgehen und individualisieren.

Wir werten diese Übung i.d.R. nicht weiter aus, denn zumeist äussern sich die TeilnehmerInnen sehr spontan zu ihren Erlebnissen, Gefühlen und Handlungen. Wir wollen uns nämlich nicht daran beteiligen, “sozial erwartet“ zu reagieren und Komplimente und Lob zerreden.

Eine interessante Beobachtung möchten wir allerdings an dieser Stelle mitteilen: In den Übungen, die nach diesen Komplimenten stattfinden, wird von den TeilnehmerInnen in der Regel kaum gelobt oder komplimentiert. Wir thematisieren das dann oft als Frage, dass uns aufgefallen ist, dass kaum ein Kompliment gemacht und Lob verteilt wurde und wir uns fragen, wie das kommt.

Beispiel: Und wo kommen Ihre Stärken her?

Das Familienbrett (Ludewig et al. 1983), nutzen wir, um den TeilnehmerInnen einen Blick auf ihre eigenen Ressourcen werfen zu lassen.

Wir bilden Kleingruppen aus fünf TeilnehmerInnen. Jede Gruppe erhält ein Familienbrett. Die Gruppe teilt sich auf in eine KundIn, eine InterviewerIn und drei BeobachterInnen. Die Rollen wechseln, bis jede Teil­nehmerIn einmal den Stuhl der KundIn eingenommen hat. Die Aufgabe richtet sich dieses Mal an die KundIn: «Bitte stellen Sie eine Situation aus Ihrer Herkunftsfamilie auf, die sich für Sie als eine Ressource für Ihre therapeutische Arbeit herausgestellt hat.“ Die InterviewerIn befragt die KundIn – dabei können durchaus zirkuläre Fragen eingesetzt werden und regt diese zum lauten Denken an. Nach 5 bis 10 Minuten endet das Interview und die BeobachterInnen reflektieren über ihre Beobachtungen im Sinne eines Reflektierenden Teams (ANDERSEN 1990, WETZIG 1993).

In der grossen Gruppe werden die Beobachtungen dann noch einmal zusammengetragen, soweit die TeilnehmerInnen dies wünschen. Der für uns wichtige Aspekt dieser Übung liegt darin, die Vergangenheit unter dem Aspekt der Ressource zu sehen und weniger unter dem Aspekt, dass es sich um Vergangenheit handelt, wo Ursachen für Handicaps von heute angeordnet sind.

Wir nutzen diesen Zeitpunkt gelegentlich, um das Thema „Ursache“ anzusprechen. Oft geht es darum, die Ursache eines Problems herauszuarbeiten und damit den Zeitpunkt zu bestimmen, wann ein Problem begonnen hat – und warum. Unter einer anderen Perspektive können wir die „Ursachenforschung“ lösungsorientiert nutzen, indem wir nicht nur nach Ursachen forschen, mit denen ein Problem begonnen hat, sondern auch nach Ursachen, mit denen ein Problem aufgehört haben wird – und schon nähern wir uns Lösungen an. Dabei verschieben wir auch die Zeitdimension: Ursachen für den Beginn eines Problems liegen logischerweise in der Vergangenheit, Ursachen für das Ende eines bestehenden Problems liegen demgemäss in der Zukunft.

Wie komme ich bloss auf Fragen …

Wenn Fortbildungen, wie anfangs erwähnt, oft aus einer Problemperspektive belegt werden, dann stehen konkrete Fragen nach dem Handwerkszeug, nach der Technik, nach „Kochbuch-Anweisungen“, bei vielen TeilnehmerInnen obenan. Diese Haltung spiegelt sich interessanterweise auch in Forschungsergebnissen wider, in denen der Frage nachgegangen wurde, wie sich die berufliche Sozialisation von BerufsanfängerInnen im beraterischen Bereich vollzieht: Am Anfang steht dabei eine ausdrückliche und uneingeschränkte Methodenorientierung – wie mache ich es bzw. wie mache ich es richtig (BREUER 1979, GIESE 1994).

Wir gehen in unseren Fortbildungen darauf ein, indem wir schon sehr früh darangehen, mit den TeilnehmerInnen zu üben, andere Fragen zu stellen. Uns ist allerdings wichtig, darauf hinzuweisen, dass jede Fragetypologie immer nur als Anregung verstanden werden darf und keinesfalls als absolut gültige Richtlinie, so dass diese Anregungen dazu beitragen können, die eigene Wahlfreiheit hinsichtlich des beraterischen Handelns (Fragenstellen) zu vergrössern (Hargens, 1994).

Beispiel: Das Fragenkarussell

Anhand von Folien präsentieren wir den TeilnehmerInnen Fragetypen wie Skalierungsfrage, Wunderfrage, Operationalisierungsfrage, Zukunftsfrage, Lösungsfrage etc., beschreiben sie und stellen Beispiele vor (HARGENS & DIECKMANN 1 992). Jeder Fragetypus ist auf eine Karteikarte geschrieben und diese werden auf den Fussboden gelegt. Dann sucht sich jede TeilnehmerIn zwei Fragekategorien aus, die sie in der folgenden Übung verwenden wird.

Eine KundIn setzt sich in der üblichen Weise und präsentiert in drei Sätzen ihr Anliegen. Dann stellt die erste TeilnehmerIn eine Frage dazu und hält sich an eine der von ihr gewählten Fragetypen. Die KundIn antwortet, worauf die zweite TeilnehmerIn eine „ihrer“ Fragen stellt usf. Diese Übung läuft ein oder zwei Runden.

In der Auswertung berichten TeilnehmerInnen oft über einen inneren Druck und über ihre Strategie, eine Frage zu planen, lange bevor sie an der Reihe sind.

Beispiel: Vorgegebene Fragen

Die Auswertung der Übung zielt in zwei Richtungen: zum einen geht es darum zu erfahren, wie sich die KundIn „gefühlt“ hat und zum anderen geht es darum, dass die TeilnehmerInnen ein Gespür da­ für entwickeln, wo ihre Stärken und Ressourcen liegen, sich im Rahmen dieser Fragetypen zu bewegen. Rückmeldungen orientieren sich daher – wie immer – an Erfolgen und nicht an Defiziten.

Und wie geht es weiter?

Mit diesem kurzen Beitrag wollten wir einen Eindruck vermitteln, welche Ideen unseren Fortbildungskontext leiten und wie wir versuchen, diese Ideen in konkrete Handlungen zu übersetzen. Dabei geht es uns darum, den TeilnehmerInnen einen Zugang zu ihren Ressourcen zu ermöglichen und diese dann vor dem Hintergrund lösungsorientierten Denkens zu praktizieren und zu diskutieren.

Dabei stehen wir immer wieder vor der Frage, wie sich das Verhältnis von Theorie und Haltung bestimmen lässt und in Übungen und Diskussionen Eingang finden kann. Wir sind nicht daran interessiert, TeilnehmerInnen den lösungsorientierten Ansatz zu verkaufen – es kommt uns vielmehr darauf an, ihnen eine Möglichkeit zu geben, diesen Ansatz kennenzulernen, damit (spielerisch) umzugehen, um dann zu entscheiden, ob und ggf. wie sie ihn für ich selber nutzen und nutzbar machen wollen.

Textausschnitt (leicht gekürzte Version) des gleichnamigen Beitrags im Buch „Einfach kurz und gut. Zur Praxis der lösungsorientierten Kurztherapie“ von Jürgen Hargens, www.juergenhargens.com! Erleben Sie Jürgen Hargens am wilob und / oder bei einer seiner besonderen Lesung! Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung. Das Literaturverzeichnis, das nicht gedruckt ist, kann bei Interesse gerne angefordert werden. 

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