Autorin: Ursula Fuchs
Das systemische Denken wird unterschiedlich definiert und verstanden, so von Schlippe und Schweitzer in ihrem Lehrbuch (vgl. 1996, S. 49). Für die einen bedeutet „systemisch“ ein ganzheitlicher Blickwinkel oder Beschreibungen darüber, wie Alles mit Allem vernetzt ist. Für andere klingt systemisch nach technokratisch, „kein Platz für Gefühle“, eine Art Werkstatt für menschliche Beziehungen.
Bamberger (vgl. 2005, S. 5) hält dazu fest, dass sich in den 1950-er Jahren der Fokus der Aufmerksamkeit von der Untersuchung der Eigenschaften isolierter Objekte hin zur Betrachtung der Wechselbeziehungen miteinander interagierender Objekte verschob, die gemeinsam eine zusammengesetzte, übergeordnete Einheit – ein System – bildeten. Es zeigte sich, dass das Verhalten der Elemente dieser Systeme besser durch die Spielregeln der Kommunikation zwischen ihnen als durch individuelle Eigenschaften erklärt werden konnte.
Das systemische Denken basiert auf dem Postulat, dass der Mensch ein beziehungsorientiertes Wesen ist, und sein Verhalten dementsprechend primär als interaktives Geschehen, als Aktion und Reaktion gesehen werden kann. Zu den Schrittmachern dieser „Revolution der Psychotherapie“, wie Gottlieb Guntern (1980, S. 33) diese Entwicklung bezeichnete, zählen beispielsweise Gregory Bateson, John Weakland, Jay Haley, Salvador Minuchin und Virginia Satir.
Verschiedene systemische Beratungskonzepte
Es gibt viele verschiedene systemische Beratungskonzepte und den jeweiligen Konzepten liegen unterschiedliche Systemtheorien, resp. unterschiedliche Theoriebezüge zu Grunde.
Zu den Grundannahmen des systemisch- lösungsorientierten Therapieansatzes gehören Konzepte der Systemtheorie, Kybernetik 2. Ordnung, Synergetik, Autopoiese, der Zirkularität sowie des Konstruktivismus und Konstruktionismus.
Zum Durchbruch kam die Systemtheorie als Kybernetik, als Steuerungslehre technischer Systeme. Die systemische Familienforschung nahm ihren Anfang um 1950, interessanterweise in der Hochburg der amerikanischen Computerindustrie. Prämissen dieser Forschung (Kybernetik erster Ordnung) waren, dass komplexe Prozesse und Systeme von aussen plan- und steuerbar seien, dass soziale Systeme offen seien und dass der Beobachter am Geschehen unbeteiligt sei. Übersetzt auf die Beratungsarbeit hiess das, dass nach damaligem Stand der Systemtheorie Kommunikationsabläufe objektiv erfasst werden können, um die Regeln und Funktionen eines Systems zu dokumentieren und gezielt darauf einzuwirken (vgl. Ludewig 1995, S. 42ff). Diese Systemtheorie hat sich vor allem dafür interessiert, wie Systempartner unter wechselnden Umweltbedingungen Konstanz zeigen, also welches die Bedingungen für Gleichgewicht, für Homöostase, darstellen.
Kybernetik zweiter Ordnung
In der nächsten Entwicklungsphase (ab Mitte der 1980-er Jahre) hat der systemische Ansatz das Gedankengut der dissipativen Strukturen aus der Chemie, der Synergetik in der Physik und der Autopoiese-Theorie aus der Biologie aufgegriffen und sich zu Nutzen gemacht.
„Dissipative Strukturen sind Systeme, die ihre Stabilität und ihre Identität nur dadurch behalten, dass sie ständig für die Strömungen und Einflüsse ihrer Umgebung offen und ständig im Wandel sind“ (Briggs und Peat, 1990, S. 207, zit. in von Schlippe und Schweitzer 1996, S. 63). Daraus wird abgeleitet, dass in der systemischen Beratung Gespräche tendenziell nicht so sehr als Gelegenheit verstanden werden, etwas durchzuarbeiten, sondern vielmehr als Anregung zu neuen Sichtweisen, Gedankengängen oder Verhaltensweisen. Interventionen sind also eher Möglichkeiten, bisherige Bilder und Vorstellungen zu verstören, als zu verfestigen. Weil von der Grundannahme ausgegangen wird, dass Wandel stets stattfindet, wird wohl etwas Neues entstehen, was das jedoch ist, entzieht sich der beraterischen Kontrolle.
Synergetik
Synergetik als Begriff stammt ursprünglich aus der Physik und beschäftigt sich mit der Kernfrage, wie Ordnung entsteht und ob es ein allgemeingültiges Prinzip der Selbstorganisation gibt. In der Synergetik wird untersucht, wie Teile in einem Feld zusammenwirken und ihr Verhalten selbst organisieren, so dass sich für das Ganze eine bestimmte Ordnung, eine Struktur ergibt, die dann neue Eigenschaften zeigt. Es wird analysiert, wie verschiedene Komponenten so zusammen wirken, dass ein kooperatives Verhalten der Teile zur Selbstorganisation des Gesamtsystems beiträgt.
„Die von der Synergetik untersuchte Dynamik von Chaos und Selbstorganisation spiegelt Erfahrungen aus der Therapie wieder: Mit einer Variation der Umweltbedingungen (Gespräch) kann ein System (Familie) zwar möglicherweise in einen neuen qualitativen Zustand übergehen (also, wie man auch sagt, einen neuen ‚Attraktor’ aufsuchen, ein neues Muster). Welcher Zustand dies jedoch ist, (Streit, Trennung Familienfrieden), ist nicht durch die Randbedingungen (Gesprächsführung) determinierbar“ (von Schlippe und Schweitzer, 1996, S. 65).
Autopoiese
Ludewig (1995, S. 59) nennt als Kernthesen der Autopoiese (Selbsterzeugung) von Maturana und Varela (1987) folgende Punkte:
• Menschliches Erkennen ist ein biologisches Phänomen und nicht durch die Objekte der Aussenwelt, sondern durch die Struktur des Organismus determiniert.
• Menschen haben ein operational und funktional geschlossenes Nervensystem, das nicht zwischen internen und externen Auslösern differenziert; daher sind Wahrnehmung und Illusion, innerer und äusserer Reiz im Prinzip nicht unterscheidbar.
• Menschliche Erkenntnis resultiert aus „privaten“ Erfahrungen, ist als Leistung des Organismus grundsätzlich subjektgebunden und damit unübertragbar.
• Der Gehalt kommunizierter Erkenntnisse richtet sich nach der biologischen Struktur des Adressaten“.
Bezogen auf die Beratungssituation bedeutet dies, dass lebende Systeme sich selber erzeugen, regulieren und erhalten. Dies, weil lebende Systeme operational geschlossen sind, was nach sich zieht, dass von Aussen nicht einseitig und zielgenau über einen anderen Menschen bestimmt werden kann, dass also „instruktive Interaktion“ nicht möglich ist. Ludewig schreibt dazu: „Lebewesen sind somit grundsätzlich nicht ‚instruierbar’, sondern allenfalls ‚verstörbar’ “(1995, S. 70).
Aus diesen beschriebenen Theorien hat sich die Idee der Kybernetik zweiter Ordnung entwickelt; zweiter Ordnung deshalb, weil hier die kybernetischen Prinzipien auf die Kybernetik selbst bezogen werden. Es
geht demnach z.B. um die Frage, wie menschliche Erkenntnis kybernetisch organisiert ist, und es wird bezweifelt, dass es „da draussen“ objektiv vom Berater erkennbare Systeme gibt. Der Berater wird zu einem Teil des Beratungssystems und Heinz von Foerster (1985) führt hier beispielsweise einen Beobachter ein, der einen Beobachter beobachtet.
Dadurch wird klar, dass Beraterin und Klientin aufeinander bezogen sind und dass es keine „Objektivität“ gibt, denn Wahrnehmung und Interpretation sind subjektiv. Eine weitere Konsequenz für einen Beratungsprozess ist, dass Beratende nicht wissen können, was gut ist für Klienten und Klientinnen.
Die Aufgabe des Therapeuten, des Beraters, kann nun beschrieben werden als Balance zwischen Anregung zu hilfreichen Suchprozessen beim Klient und dem Respekt vor dessen Autonomie (vgl. Bamberger 2005, S. 10).
Zirkularität
Zirkularität bedeutet so etwas wie Kreisförmigkeit“ (von Schlippe und Schweitzer, 1996, S. 118), was bedeutet, dass die Verhaltensweisen der Elemente eines Systems als Regelkreis beschrieben werden können. In einer Beziehung ist demnach jedes Verhalten zugleich Ursache und Wirkung und kann sowohl unter dem Aspekt der Ursache als auch der Auswirkung und Verstärkung betrachtet werden. Bamberger (vgl. 2005, S. 10) zieht zur Illustration ein Mobile bei; wenn ein Element bewegt wird, erfahren dadurch auch die anderen Elemente entsprechende Impulse, was wiederum rückbezüglich wirkt. Probleme sind dementsprechend stets das Ergebnis des Zusammenwirkens aller Beteiligten und des Zusammentreffens verschiedenster Umstände. „Genau diese zirkulären Beziehungen, diese Wechselwirkungen, machen das zentrale Merkmal sozialen Zusammenlebens aus, repräsentieren die eigentliche Qualität von lebenden Systemen“ (Bamberger, 2005, S. 11).
Systemisch-Lösungsorientiert / Begriffsklärung
Konstruktivismus
Die Erkenntnistheorie des Konstruktivismus geht davon aus, dass jedes Individuum, aufgrund seiner Erfahrungen in der Interaktion mit der Umwelt, sein eigenes Bild von Wirklichkeit konstruiert. Diese Wirklichkeitskonstruktion beeinflusst wiederum, was ein Individuum sieht, wie es Erlebtes und sein jeweiliges Verhalten interpretiert und bewertet. Jeder Mensch hat seine eigenen subjektiven Konstruktionen. Dabei werden solche bevorzugt, die für das eigene Wohlbefinden und/oder die existentielle Sicherung nützlich sind. Bei einer konstruktivistischen Perspektive geht es demnach darum, dass es kein Bild von der Welt gibt, welches die reale Wirklichkeit repräsentiert, sondern dass jeder von uns Realität immer nur auf seine Weise erschliesst, bzw. konstruiert.
Durch diese unterschiedlichen Wirklichkeitskonstruktionen können Differenzen entstehen, welche im Zusammenleben zu Konfrontationen führen. Dazu Bamberger (2005, S. 12): „Welt erschliesst sich für uns Menschen nicht in Form von Fakten, sondern entsteht aus individuellen Interpretationen und Bedeutungsgebungen sowie aus gesellschaftlichen Vereinbarungen und Traditionen“.
Konstruktionismus
Der Konstruktionismus geht von der Bezogenheit aufeinander aus, von der Koordination unter Menschen. Die Individualität stellt eher ein Nebenprodukt dar. Im jeweiligen Kontext werden menschliche Wirklichkeiten in Prozessen menschlicher Kommunikation gesellschaftlich konstruiert (vgl. Schlippe und Schweitzer 1995, S. 78ff). Besondere Bedeutung hat im sozialen Konstruktionismus die Sprache, weil Sprache immer sozial ist und die Koordination von mindestens zwei Personen erfordert. Im sozialen Konstruktionismus werden Ideen, Bilder und Erinnerungen als etwas gesehen, das durch sozialen Austausch hervorgebracht und durch Sprache vermittelt wird. Hier wird also Konversation oder Dialog als das gesehen, was „Wirklichkeit“ schafft.
Das systemisch- lösungsorientierte Therapiekonzept kann also als eine Entwicklung der systemischen Konzepte in den letzten 60 Jahren betrachtet werden, welches Forschungsergebnisse aus Chemie, Physik, Biologie und Erkenntnisse aus der Gehirnforschung aufnimmt und einbezieht.
Das lösungsorientierte Kurzzeit-therapieverfahren findet seit Anfang der 1970-er Jahre (vor allem auch durch die Arbeiten von Steve de Shazer und Insoo Kim Berg) immer grössere Beachtung. Es gilt aber darauf hinzuweisen, dass Milton Erickson derartige Ideen bereits 1954 „gesät“ hatte und so stellt Gunther Schmidt (vgl. 2004, S. 261) fest, dass die systemische Therapie in den letzten fünfundzwanzig Jahren eine Transformation in Richtung einer konsequenten Kompetenz- und Lösungsorientierung erfahren hat.
Gemäss Kurt Ludewig antworten Therapiekonzepte auf folgende Grundfragen: 1. Von welchem Problemverständnis wird ausgegangen und 2. Wie stellt sich das Therapiekonzept dar, bestehend aus: a)Therapieziel, b) Therapeutische Beziehung, c) Haltung des Therapeuten und d) Teschnisches Vorgehen. Im Folgenden einige Gedanken dazu.
Problemverständnis
Probleme ziehen meist die ganze Aufmerksamkeit auf sich. Wichtig ist es, ein Problem als eine Verhaltensmöglichkeit im Hier und Jetzt zu betrachten, oder wie Bamberger (2005, S. 33) es formuliert: „Das Leben des Klienten ist immer mehr als nur ein Problem“.
Systemisch-lösungsorientierte Beratende betrachten Probleme als etwas Normales, das zum Leben dazu gehört. Probleme stellen – so gesehen – Herausforderungen dar, welche das Leben durch die sich dauernd verändernden Lebensbedingungen mit sich bringt. Sie bieten die Chance, sich neu zu entscheiden, Veränderungen anzugehen. In einer systemisch-lösungsorientierten Therapie wird das Problem z. B. als eine Fragestellung, für die eine Führungskraft Antworten sucht, betrachtet.
Ziel der Therapie/Beratung:
Anderen Verfahren im Bereich Beratung und Therapie ist die grundlegende Überzeugung gemeinsam, dass in einem diagnostischen Prozess zuerst herausgefunden werden muss, was „falsch“ läuft, bevor ein Problem gelöst werden kann (vgl. Bamberger 2005, S. 22). Im systemisch-lösungsorientierten Konzept werden einige Argumente vorgebracht, welche dieser Ursachenforschung kritisch gegenüber stehen, z. B. die Aktualisierung von Hilflosigkeit, weil der Fokus auf dem Nichtfunktionieren bleibt. Bamberger verweist in diesem Zusammenhang auf neurologische Zusammenhänge und zitiert Grawe (2004, S. 56): „Wenn sich die Therapie zu sehr oder zu lange mit der Feststellung und Analyse von Problemen aufhält,
werden keine neuen, positiveren neuronalen Erregungsmuster ausgebildet“ (zit. in Bamberger 2005, S. 24). Weiter wird die „objektive“ Informationserhebung und damit eine „objektive“ Problemklärung in Frage gestellt, weil es Beratenden nur selten möglich ist, KlientInnen in „realen“ Problemsituationen und in ihrem konkreten Problemverhalten zu beobachten.
Ludewig (vgl. 1995, S. 54) beschreibt das Ziel einer Beratung als „Problemverwindung“. Im systemisch-lösungsorientierten Beratungskonzept wird davon ausgegangen, dass Problem und Lösung von einander unabhängig sein können, was bedeutet, dass für die Konstruktion von Lösung(en) die analytische Dekonstruktion des Problems nicht zwingend nötig ist. Bamberger zitiert zu diesem Punkt Gunthard Weber: „Wenn ich weiss, wie ein Karren in den Dreck gefahren wurde, weiss ich noch lange nicht, wie er wieder heraus zu ziehen ist“ (Weber, 1994, zit. in Bamberger 2005, S. 27).
Das Ziel beim systemisch-lösungsorientierten Verfahren kann folgendermassen zusammengefasst werden: Der Blick wird nach vorne gerichtet, resp. es werden Visionen für die Zukunft entwickelt, Ziele werden definiert, im Fokus liegt, was angestrebt wird, es geht um Kompetenzerweiterung und vor allem -entfaltung. Therapeuten werden sich klar, was sie anstreben, welches Ziel oder welche Ziele sie bezüglich der Fragestellung, die Auslöser für die Beratung ist, erreichen wollen. Auch was sie bereits in Richtung „Zielvision“ tun, und welche Ressourcen ihnen in den einzelnen Schritten in Richtung Ziel zur Verfügung stehen, wird geklärt. Wird der Begriff „Problemverwindung“ von Ludewig beigezogen, heisst das: Das Problem wird „verwunden“, indem „man“ sich vorstellt, was genau anders ist, was die Anzeichen bei sich selber und im Umfeld nach Erreichen des formulierten Zieles sind. „ Ziel der systemisch-lösungsorientierten Beratung ist also nicht die Lösung als solche, sondern die Lösungsorientierung“ (Bamberger, 2005, S. 45).
Beziehung zwischen TherapeutIn und KlientIn:
„Aus einer narrativen Perspektive wird Beratung, Therapie als Konversation gesehen“ (Hargens, 2004, S. 24), was aber nicht heisst, dass Beratung dasselbe ist wie jede andere Konversation. Beratung beschreibt Hargens als „soziales Ereignis“, gekennzeichnet durch das Bemühen auf Seiten der Fachleute, professionelle Haltungen in Handlungen zu verwirklichen, die den spezifischen professionellen Ansatz definieren. „Professionell helfende Konversation dreht sich um Wirklichkeits-Konstruktionen und den ihr zugeschriebenen (gleich gültigen) Bedeutungen“ (Hargens, 1993, S. 19).
Im systemisch-lösungsorientierten Ansatz wird das von Hargens so benannte „Konzept der Kundigkeit“ in den Mittelpunkt gestellt. Daraus wird abgeleitet, dass in einem Beratungssetting zwei Expertensysteme aufeinander treffen und miteinander einen Dialog führen. KlientInnen, resp. KundInnen sind ExpertInnen für ihre Probleme und Fragen, ihre Lösungen; Beratende sind kundig für die „Rahmung“ des Beratungssystems, ihre KundInnen zu unterstützen, zu begleiten, Wirklichkeitskonstruktionen aus einer anderen Perspektive zu befragen resp. zu betrachten. Eine gute Arbeitsbeziehung (Rapport) zwischen Therapeut und Klient ist für die Effektivität der Therapie von grundlegender Bedeutung, was die Therapieforschung vielfach belegt hat (vgl. Bachelor und Horwath 2001, S. 137).
In der systemisch-lösungsorientierten Therapie geht es gemäss Hargens (vgl. 2004, S. 107) darum, das Augenmerk darauf zu richten, respektvoll und wertschätzend am Gegenüber anzukoppeln, was beispielsweise bedeutet, dessen Fähigkeit zu Autonomie und Selbstorganisation zu achten.
Walter und Peller (vgl. 2002, S. 53f) haben eine Reihe von Grundannahmen und Leitideen formuliert, welche Basis der systemisch-lösungsorientierten Methodologie in Therapie und Beratung – auch im Zwangskontext – darstellen. Zum Beispiel: „Ausnahmen verweisen auf Lösungen“, „Nichts ist immer dasselbe“, „Menschen haben Ressourcen“, „Bedeutung und Erfahrung sind interaktional konstruiert“, usw. Diese Prämissen haben sowohl Einfluss auf die beraterische Beziehung als auch auf die Haltung der Beratenden.
Systemisch-lösungsorientierte Beratung steht in der Tradition der Humanistischen Psychologie, die jeden Menschen als einzigartig ansieht, ihn in seiner leiblichen Existenz ernst nimmt und als geistig mit guten Gaben ausgestatteten Gestalter seiner Möglichkeiten versteht. Es werden Individualität, freies und unabhängiges Denken betont, und der Mensch wird in seinem Sosein erfasst mit der Aufgabe, sich voll zu entfalten (vgl. Fromm 2009, S. 34f).
Das Gute im Menschen, der Wunsch nach Veränderung und Wachstum, sind wichtige Aspekte, die es im Menschenbild der Humanistischen Psychologie zu beachten gilt. Wahl und Entscheidung finden sich als Möglichkeit oder gar als Notwendigkeit. Aus Wahl und Entscheidung erfolgt Verantwortlichkeit gegenüber sich selbst und den Mitmenschen (vgl. Quitmann 1998, S. 86ff). Im „Konzept der Kundigkeit“ führt Hargens zur Haltung der BeraterIn im systemisch-lösungsorientierten Konzept Folgendes aus: Gehen wir vom Modell des Konstruktivismus aus, bleiben alle Menschen verantwortliche Konstrukteure und Konstrukteurinnen ihrer jeweiligen Wirklichkeiten. Demgemäss hat also niemand – auch Beratende nicht – einen privilegierten Zugang zu einer Wirklichkeit da draussen, was zur Folge hat, dass alle Aussagen darüber, wie „Wirklichkeit“ ist oder sein soll, persönliche und subjektive Festlegungen sind, die in einem sozialen Kontext kollektiv und konsensuell abgestimmt werden und wurden. Auf Grund dieser Sichtweise geht es nicht um bessere oder schlechtere Wirklichkeitskonstruktionen, sondern darum, neugierig andere Konstruktionen zu betrachten resp. zu erfragen, weil ein Coach hier auf Ressourcen und Kompetenzen seines Gegenübers stösst. Dies wiederum bedeutet nicht, dass er nicht seine Bewertungen machen darf oder alle Konstruktionen seiner KundInnen für wünschenswert halten muss. Wichtig bleibt, nicht die eigenen Bevorzugungen zum Massstab aller Dinge zu machen (vgl. Hargens 1993, S. 16).
In der Auseinandersetzung mit „Kundigkeit und kybernetische Metapher“ geht es darum, sich zu fragen, wer in einem Beratungssystem den Soll-Wert festlegt. In den Ausführungen zur Kybernetik 2. Ordnung wurde bereits dargestellt, dass unter systemischen Gesichtspunkten ein Regler nur im Kontext des gesamten Regelungsmechanismus gesehen werden kann. Wenn der Regler als Teil des gesamten kybernetischen Regelungssystems betrachtet wird, kann nicht beantwortet werden, wie ein Einzelteil ein System als Ganzes bestimmt (z.B. Bateson, 1981). „Es lässt sich kein Regler ausmachen, der allein verantwortlich sichert, dass die Regelung erfolgt. ‚Regler’ wurde somit zu einer Beschreibung eines kontinuierlichen Prozesses, bei dem sich verschiedene Teile wechselseitig beeinflussen, um so als ‚ganze Einheit’ das hervor zu bringen, was als Regelungsmechanismus beschreibbar wird“ (Hargens, 1993, S. 17).
Regelung wird somit zu einem gemeinsamen Unternehmen. Übertragen auf das Beratungssystem, auf eine systemisch-lösungsorientierte Therapie, bedeutet dies, dass die Klärung der Frage, was gut, richtig, zieldienlich ist, ein gemeinsamer, wechselseitiger Prozess ist, und alle Beteiligten ihre spezifischen Möglichkeiten in diesen Prozess einbringen.
Zu Ressourcen und Kundigkeit sagt Hargens: „Geraten die Ressourcen der KundInnen in den Blick, dann wird es auch immer leichter und selbstverständlicher, auf die dahinter liegenden Kräfte zu vertrauen und die KundInnen ihre eigenen Lösungen finden zu lassen“ (1995, S. 33).
Systemisch-lösungsorientierte Berater und Therapeuten gehen von der Kundigkeit ihres Gegenübers aus, wobei sich die Kundigkeit sowohl auf deren Kompetenz und Kundigkeit für ihre Probleme und Fragen als auch für die Lösungen bezieht. Ebenfalls wird die Definition des Arbeitsauftrages wie auch die Idee der Auf-Lösung des Beratungssystems durch die Therapeuten definiert. Hargens (vgl. 1995, S. 36) prägt den Begriff „unerschrockenes Respektieren“ , den er als eine Haltung versteht, die vom Respekt den KundInnen gegenüber getragen wird, uns zugleich aber ermutigt, jede denkbare Frage als möglich zuzulassen.
In logischer Konsequenz resultiert aus der geschilderten Ressourcenorientierung ein neues Selbstverständnis des Therapeuten, des Beratenden. „Er sieht sich nicht mehr in der Rolle des Problemlösers, sondern als ‚Moderator von Entwicklung’, als ‚Agent der Veränderung’ (Hermer, 1996), als ‚Mitgestalter sinnvoller Alternativen zum Problemverhalten’ (Ludewig, 1995), als ‚Supervisor für die Interaktion mit der Aussenwelt’ (Schmidt, 1992), […] als ‚Katalysator eines Selbstorganisationsprozesses’ (Schiepek, 1999)“ (zit. in Bamberger 2005, S. 38).
Hargens bezeichnet als Leitlinien der Beratungsarbeit nach diesem Verfahren „kooperieren, reflektieren, öffentlich machen und den Meta-Dialog“ (vgl. 1995, S. 33ff).
Technisches Vorgehen
Fragen
Bamberger (vgl. 2005, S. 48) beschreibt den gesamten systemisch-lösungsorientierten Beratungsprozess, resp. die Beratungstechnik, als eine systematisch aufeinander aufbauende Abfolge von lösungsorientierten Fragen, welche die Klientinnen einerseits zu einem Suchprozess einladen und andererseits auch lösungskompetentes Selbstbewusstsein induzieren. De Shazer (vgl. 1999, S. 74) hat es als den Job von Beratenden bezeichnet, unterschiedliche Fragen zu stellen.
Im systemisch-lösungsorientierten Verfahren ist ein breites Interventionsinventar anzutreffen. So gibt es Fragen nach Veränderungszielen, wobei die „Wunderfrage“ nur eine der Möglichkeiten für die Arbeit an Zielen darstellt. Ausserdem werden Fragen nach Ausnahmen sowie Skalierungs- und Copingfragen usw. eingesetzt. Allen Fragen ist nach Bamberger (vgl. 2005, S. 41) gemeinsam, dass sie Einladungen zu lösungsorientierten Aufmerksamkeitsfokussierungen darstellen.
Kooperieren
Hargens (2004, S. 73) übersetzt, was de Shazer (1992, S. 45) formuliert hat: „Jede Familie (ebenso wie jedes Individuum und jedes Paar) versucht auf einzigartige Weise zu kooperieren. Die Arbeit des Therapeuten besteht darin, jene spezielle Art des Kooperierens, die die Familie zeigt, aus seiner Sicht zu beschreiben und dann damit zu kooperieren, um Veränderungen zuwege zu bringen“. KlientInnen, die sich in ihren Anliegen verstanden fühlen, sich als Person wertgeschätzt erleben, werden sich reaktiv wertschätzend auf eine Beziehung mit dem Beratenden einlassen können und engagiert zusammen arbeiten (vgl. Bamberger 2005, S. 58).
Kooperation erfordert eine kontinuierliche Abstimmung des Beratungssystems und eine permanente Rückkopplung. Je besser dies gelingt, umso effektiver und effizienter wird der Lösungsprozess verlaufen (vgl. Bamberger 2005, S. 47). Hargens weist darauf hin, dass es stets darum geht, einen Rahmen zu schaffen, in dem Kooperieren überhaupt möglich wird. Das bedeutet, die Kundinnen zu respektieren, einen Kontext des Kooperierens zu schaffen, z.B. den Auftrag und die Ziele zu klären, und das Setting auszuhandeln. Weiter geht es darum, grundlegende Regeln zu vereinbaren und sich um das Wohlbefinden zu kümmern, das Wohlbefinden der KundInnen, aber auch der Beratenden (vgl. Hargens 2004, S. 38 ff).
Reflektieren
Reflektieren ist der Begriff, der im Moment am besten zu unseren Ideen von Narrativen, Geschichten und Weltanschauungen passt“ (Hargens, 2004, S. 50). In Beratungsprozessen kann es laut Hargens nützlich und zieldienlich sein, mit unterschiedlichen Positionen zu „spielen“, weil unterschiedliche Positionen unterschiedliche Perspektiven ermöglichen. Therapie und Beratung könnten demnach auch beschrieben werden als eine Möglichkeit, Wege zu finden, unsere Positionen zu verändern und aus den jeweiligen, unterschiedlichen Positionen zu reflektieren. Beratungsangebote hätten dann damit zu tun, mehr Geschichten hervor zu bringen, über alternative Geschichten nachzudenken und würden von Foersters Imperativ folgen „Handle stets so, dass die Anzahl der Wahlmöglichkeiten grösser wird“ (von Foerster, 1985, S. 41). KundInnen können eingeladen werden, zusammen mit dem Therapeuten zu reflektieren, oder es kann mit zirkulären Fragen auch über abwesende Personen reflektiert werden.
Meta-Dialog, öffentlich machen
Als Meta-Dialog wird das Reflektieren von zwei BeraterInnen bezeichnet, die sich zusammen über das Gehörte austauschen, während die KundInnen zuhören (Hargens 2004, S. 53).
Andersen (vgl. 1994, S. 43 ff) hat beschrieben, was innerlich und äusserlich bei Menschen abläuft, wenn sie sich treffen und hat dafür den Begriff „innerer und äusserer Dialog“ verwendet. In jedem Beratungsformat wird ein innerer Dialog mit sich selber und ein äusserer Dialog zwischen den Beratenden und den Beratenen geführt. Dieses Vorgehen wird in dieser Methode genutzt, um einerseits ein Bild zu bekommen, was sich in der beratenden Person abspielt, andererseits dieses „Bild“ den KlientInnen gegenüber auch zu veröffentlichen.
Diese Handlung – das Öffentlich-Machen – kann als Einladung an Klienten und Klientinnen betrachtet werden, sich mit Gedanken und Überlegungen des Beratenden auseinander zu setzen.
Empfehlen
Ein Therapie-Gespräch wird mit einer Empfehlung abgeschlossen. Diese soll entweder dazu dienen, die KlientInnen einzuladen, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen, und all das, was sie bereits in Richtung Ziel tun, weiterhin zu machen. Oder aber etwas ganz Anderes zu tun, weil die bisherigen Aktionen sich als nicht zieldienlich erwiesen haben.
Autorin: Ursula Fuchs, Leiterin wilob AG, Psychotherapeutin SBAP, ZRM®-Trainerin, PSI-Kompetenzberaterin, Systemisch-lösungsorientierte Therapeutin für Einzelne, Paare und Familien (Systemis), Supervisorin & Coach & Organisationsberaterin (BSO), Master-Practitioner NLP und Mediatorin SVM in eigener Praxis, Dozentin im Nebenamt an der Hochschule Luzern, Soziale Arbeit; Begründerin und Leiterin der wilob AG.
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