Auszug aus dem Vortrag von Dr. Gunther Schmidt (wilob Jubiläumstagung), wiedergegeben von Angela Fuchs
„Suchen, das ist das Ausgehen von alten Beständen und das Finden-Wollen von bereits Bekanntem. Finden, das ist das völlig Neue. Alle Wege sind offen und was gefunden wird, ist unbekannt. Es ist ein Wagnis, ein heiliges Abenteuer. Die Ungewissheit solcher Wagnisse können eigentlich nur jene auf sich nehmen, die im Ungewissen sich geborgen wissen. Die in der Ungewissheit der Führerlosigkeit geführt werden, die sich vom Ziel ziehen lassen und nicht selbst das Ziel bestimmen.“
Das „saugute“ Zitat „Geborgen im Ungewissen“ ist von Pablo Picasso. Picasso war ein Künstler, der das Wagnis, das Abenteuer suchte und liebte. Möglicherweise fiel es ihm deshalb einfacher, sich vom Ziel ziehen zu lassen. Weiss man, was man finden will, ist es wie bei einer Ostereiersuche- wenig überraschend. Sucht man nach Neuem, ist unbekannt, was gefunden wird. Die Ungewissheit solcher Wagnisse können aber nur jene auf sich nehmen, die sich im Ungewissen geborgen fühlen. Aber wie kommen wie dahin? Schliesslich ist eins sicher: Nichts ist sicher! Und das ist ganz sicher. Um uns in der Ungewissheit geborgen zu fühlen, brauchen wir Handlungs- und Haltungsstrategien. Diese ermöglichen uns den optimalen, kompetenzaktivierenden Umgang mit der Ungewissheit.
„Vom Ziel ziehen lassen und nicht selbst das Ziel bestimmen“, das klingt natürlich gut. Aber wenn wir das Ziel gar nicht kennen; wissen wir auch nicht, wann wir das Ziel überhaupt erreicht haben? Sprechen wir von SMART Zielen, dann müssen Ziele konkret, motivierend, aktivierend, realistisch, terminiert sein. Und unsere Erfahrung zeigt: Fast alle in der Beratung haben keine SMART Ziele. Wenn klare Ziele fehlen, dann brauchen wir Strategien, Sinn-Kriterien; Orientierungskriterien. Dieses Bedürfnis hat sich heutzutage deutlich verstärkt. Wir brauchen Kompetenzen als „Reisende“, als „Surfende auf dem Ozean der fluktuierenden Umgebung und des Lebens“, die uns Sicherheit und Halt, Kraft und Handlungsfähigkeit geben für den optimalen Umgang mit dieser Ungewissheit. Diese Sicherheit kann dann nur noch sehr begrenzt von aussen kommen. Aber können wir sie uns von innen, aus uns herausholen? Und wie?
Stellen wir uns den Surfer vor. Auf dem Surfbrett als Surfender kriege ich nur Stabilität durch Instabilität. Durch ständige fluktuierende Instabilität entsteht nämlich Stabilität. Wir müssen also nicht nur Ambivalenz berücksichtigen sondern gar Multivalenz und brauchen folglich Multivalenzkompetenzen. Natürlich streben wir alle nach Sicherheit. Das ist ein Grundbedürfnis. Und deshalb hat uns die Evaluation eine Grundausstattung gegeben, wie wir mit dieser ewigen Unsicherheit umgehen können: Wir haben eine eingebaute Fähigkeit zu „worst case Szenarien-Bildung“!
Diese Fähigkeit ist sehr wichtig und wird von uns „Lösungsorientieren“ leider oft zu wenig beachtet. Konzentrieren wir uns nämlich nur auf das Wunder und verhalten uns so, als ob es schon passiert sei, kann es gut sein, dass wir „gefressen“ werden. Unsere Vorfahren waren ja ständig Gefahren ausgesetzt. In der Evolution (Hinweis von J. LeDoux) gibt es die die Schnellen (d.h. die schnell Angstbereiten) und die Toten (das sind die Lösungsorientierten, die positiv Denkenden). Wir sind also die Nachkommen der schnell Angstbereiten und nicht der Lösungsorientierten, denn diese haben die Gefahr nicht schnell genug richtig eingeschätzt und wurden „gefressen“. Immer nur positiv zu denken, sich darauf zu konzentrieren, wann es schon mal geklappt hat, kann gefährlich sein, wenn man einem Säbelzahntiger gegenüber steht… Deshalb müssen wir das worst-case-Szenarium (unsere „Amygdala-Kompetenz“) einbauen in unsere Überlegungen. Zudem haben wir Menschen auch das Bedürfnis, in unserem Problemerleben gehört und gesehen zu werden. Das ist neurobiologisch nachweisbar. Es braucht also auch Problemgespräche. Problem-Trance UND Lösungs-Trance. Über Probleme zu reden schafft keine Probleme. Denn es ist nicht der Inhalt, der die Wirkung zum Erlebten macht, sondern es ist die Beziehung, die wir zum Inhalt herstellen.
Für Situationen von bleibender, äußerlich nicht auflösbarer Ungewissheit brauchen wir also Strategien, die wieder z.B. zu Kompetenz-Erleben, Mut, Kraft, Zuversicht, Selbstwert und Sinn-Erleben führen gerade dann, wenn man die Ziele nicht so eindeutig „smart“ definieren kann. Dafür sollte man sich von den (inhaltlichen) Ziel-Gestaltungen (relativ) unabhängig machen. Und sich fokussieren auf Gestaltungsmöglichkeiten für Sicherheit, die man selbstwirksam erreichen kann, z.B.:
• Fokus auf „innere Sicherheit/ • stimmiges Sinn-Erleben/ • Muster von Selbstwirksamkeit bei Aussen-Unsicherheit/ • hilfreiche soziale Netzwerke
Da niemand die Zukunft kennen kann, sind sie immer nur Ausdruck von Hypothesen, niemals von „Wahrheit“. Ängste, Krisen-Erleben etc. können also als imaginative Leistungen verstanden und genutzt werden. Im Sinne von (Vaclav Havel): „Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.“
So sind wir geborgen im Ungewissen – und keine Opfer der Umstände!
Hier finden Sie einen Link zu einzelnen Folien von Gunther Schmidt!
Und hier können Sie einen Film-Ausschnitt!
Der Vortrag und die Folien sind von Dr.med.Dipl.rer.pol.Gunther Schmidt, Milton- Erickson- Institut Heidelberg, Im Weiher 12, D-69121 Heidelberg, www.meihei.de
SysTelios- Klinik, für psychosomatische Gesundheitsentfaltung, 69483 Wald-Michelbach/Siedelsbrunn, www.systelios.de