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Nicht-fachliche Fachbücher

Ein Gespräch mit Jürgen Hargens und Angela Fuchs

Jürgen Hargens ist im Bereich systemisch-lösungsorientierter Arbeit kein Unbekannter, sondern seit den 1980er Jahren als Förderer und Unterstützer in vielen Funktionen bekannt: Praktiker, Netzwerker, Verfasser und Herausgeber von Fachbüchern und –artikeln wie auch als geschätzter Fort- und Ausbilder wie Vortragender. Nicht zu vergessen die von ihm ins Leben gerufene und zehn Jahre lang herausgegebene Zeitschrift für systemische Therapie und dann die erste deutschsprachige Buchreihe systemische Studien.

Mittlerweile hat er nach Erreichen des Rentneralters etliche dieser Tätigkeiten heruntergefahren. Er hat 2015 sein letztes Fachbuch (Keine Tricks!) im wilob-Verlag (für Fr. 23.90 + Porto bestellen) herausgebracht und sich verstärkt dem Schreiben von, wie er es nennt, „nicht-fachlichen Fachbüchern“ verschrieben. Das hat mich neugierig gemacht. Und was liegt da naheliegender als zu fragen, gerade jetzt wo sein aktuelles Buch „Möglichkeiten … und mehr“ erschienen ist.

Bestellung keine Tricks

Angela: Jürgen, ich bin einfach neugierig. Wir haben auf Deiner Website elf Bücher von Dir aufgeführt, von denen lediglich ein einziges als Fachbuch bezeichnet werden kann. Was ist da passiert?

Jürgen: Als Antwort fällt mir Batesons Geschichte ein, der einen Computer etwas Ähnliches fragte und der dann als Antwort ausdruckte: „Das erinnert mich an eine Geschichte.“ Ich könnte auch eine Geschichte erzählen, aber ob sie stimmt, weiß ich nicht, denn der Anfang liegt fast zwanzig Jahre zurück.

Angela: Ich bin jedenfalls gespannt auf die Geschichte, die du mir erzählst.

Jürgen: Also ich erinnere mich, dass ich meine ersten  Geschichten während meiner Schulzeit schrieb, also vor etwa sechzig Jahren. Das waren die üblichen, wie ich es nenne, Pennäler-Versuche in der Sturm-und-Drang-Zeit. Glücklicherweise habe ich das alles weggeworfen. Aber irgendwann in den 1990er Jahren begann so etwas wieder in meinem Kopf herum zu spuken. Die Idee, einfach mal nichts Fachliches mehr zu schreiben, sondern etwas anderes, etwas eher Normales. Wenn es denn so etwas gibt. Und so habe ich eines Tages vor dem PC gesessen und die ersten paar Seiten geschrieben. Ich weiß noch, es war ein Sonntagmorgen, ich besuchte meine Freundin, eine unglaubliche Langschläferin, und ich musste einfach warten und konnte schlecht laut sein. So verzog ich mich in ihr kleines Arbeitszimmer, schaltete ihren PC an und fing einfach an zu schreiben. Ohne konkrete Idee. Es wurde einfach die Beschreibung eines Vormittags. Das Ganze abgespeichert und das war’s.

Angela: Einfach so? Und wie ging es weiter? Und was war Deine Absicht?

Jürgen: Ja, einfach so. Das Tolle war, ich musste ja nicht schreiben. Ich konnte, wenn ich wollte, weiterschreiben. Oder auch nicht. Also kein Druck. Zurück zu Hause hat es einige Zeit gedauert, bis ich mich wieder an den PC setzte, um diese ersten drei oder vier Seiten zu öffnen. Ich las sie und hatte irgendeine unausgegorene Idee einer weiteren Szene und schrieb einfach weiter. Mir wurde sehr rasch klar, dass ich, wenn überhaupt, nur etwas schreiben konnte, was mit meiner Arbeit zu tun hatte. Na ja, so holperte das dahin. Ab und an ein paar Seiten, meist so drei bis fünf, dann war die Szene vorbei. Oder anders gesagt, dann gingen mir die Ideen aus.

Angela: Na ja, am Ende ist doch daraus ein Buch geworden, oder?

Jürgen: Du weißt einfach zu viel. Stimmt. Als ich so 15 bis 20 Seiten fertig hatte, es drehte sich nicht unerwartet um einen Psycho, seine Arbeit, seine Familie, ich war sehr unsicher und schickte das einem Kollegen, der mir sehr rasch zurückmeldete: das bist doch du! Das passte nun überhaupt nicht zu meiner Vorstellung dieser Psycho-Figur. Aber es hatte eine wunderbare Folge: ich „erfand“ sofort einen zweiten Psycho, der in der nächsten Szene das Buch betrat. Und so „lief“ die Geschichte bis zu ihrem Ende. Es hat, glaube ich ziemlich lange gedauert. Glücklicherweise fand meine Freundin, wenn ich ihr wieder ein paar weitere Seiten vorlas, es immer gut oder toll oder spannend und freute sich aufs nächste Kapitel. Was blieb mir also übrig, als weiter zu schreiben? Obwohl ich selber auch keine Ahnung hatte, wie es weitergehen würde.

Angela: Und dann wurde daraus doch ein Buch?

Jürgen: Eine Kollegin und Freundin aus Wien, Gerda Mehta, die damals noch Klammer hieß, hatte mit einem Wiener Buchhändler gesprochen, der ganz scharf darauf war, das Buch zu machen, obwohl er es in Gänze gar nicht kannte. Und so nahm alles seinen Lauf. Wobei, das muss ich sagen, vor allem Gerda großen Anteil an diesem ersten Buch wie auch am Weiterschreiben hatte, denn sie organisierte Lesungen in ihrem Wohnzimmer. Die waren immer gut besucht und die Kollegen und Kolleginnen sehr angetan.

Angela: Wolltest Du diese Art Buch, also keine reinen Fachbücher, schreiben? Und mit welcher Absicht?

Jürgen: Ich wollte etwas schreiben über das Leben psychotherapeutischer Fachleute, aber nicht als Fachbuch, sondern als unterhaltsame Lektüre. Natürlich ging es auch um psychotherapeutische Sitzungen, um Systemisches, um Lösungsorientiertes, allerdings immer mit der Hoffnung, nicht belehrend zu schreiben, sondern das Alltägliche, das Normale in den Vordergrund zu rücken. Naja, die so positive Resonanz aus den Fachkreisen ermunterte mich, weiter zu machen. Doch es war schon harte Arbeit, das nächste Buch zu machen.

Angela: Richtig harte Arbeit? Und dann wurden es so viele?

Jürgen: Ich musste für das nächste Buch einen neuen Verleger finden. Wenn ich selber die Druckkosten oder den größten Teil zahlen würde, dann gab es genügend Verlage. Aber das Schreiben sollte mein Vergnügen, mein Hobby bleiben, und ich wollte nicht ein paar Tausend Mark oder Euro da reinstecken.

Angela: Und wie hast Du es geschafft?

Jürgen: Ist es nicht wunderbar, dass wir alle irgendwie abergläubisch sind?

Angela: Was hat das denn damit zu tun?

Jürgen: Ich bin einfach ein Glückskind. Du weißt sicher, dass Schornsteinfeger ja als Glücksbringer gelten und mein Vater war Schornsteinfeger. Ich fand Anzeigen von Verlagen, schrieb sie an, rief sie an und – Wunder, oh Wunder – der Berliner trafo-Verlag wollte das machen. Ein wirklicher Glücksfall. Ein verlässliches Miteinander und das nun schon über  zehn Jahre. Wobei, was vielen nicht so bekannt ist, auch wenn es scheinbar viele Verlage in Deutschland zu geben scheint – die meisten sind Teil internationaler Riesenverlage, besser gesagt, ihnen einverleibt, gefressen worden. Nach außen hin können sie noch ihren ursprünglichen Namen verwenden, dann fällt die Monopolisierung nicht gleich Auge. Und die vielen kleinen unabhängigen Verlage kämpfen hart um ihr Überleben. Na ja, und so sind im Laufe der Jahre eben noch ein paar Bücher entstanden.

Angela: Was mich natürlich sehr neugierig macht: was ist Deine Motivation, was und wen möchtest Du mit Deinen Geschichten erreichen?

Jürgen: Im Grunde hoffe ich immer aufs Neue, dass meine Geschichten für jeden interessant genug sind. Und, das will ich nicht verhehlen, ein bisschen schwingt immer auch etwas Missionarisches mit. Ich möchte schon ein paar Ideen dieser etwas anderen Therapiemöglichkeiten beschreiben. Hoffentlich nicht belehrend oder pädagogisierend, sondern einfach ausreichend unterhaltsam. Bisher, so mein Eindruck, scheint das ganz gut zu funktionieren. Natürlich mache ich dazu keine empirisch-wissenschaftliche Studie, sondern freue mich, wenn der Verleger, Dr. Wolfgang Weist, bereit ist, meine Manuskripte zu verlegen. Und – genau so wichtig – die Resonanz der Leser und Leserinnen. Und da – auch ein bisschen Aberglaube – aller guten Dinge drei sind, was ungemein aufbaut und puscht, sind Lesungen. Mittlerweile lese ich nicht nur bei Euch am wilob regelmäßig, sondern auch am ilk Bielefeld, am PPSB Hamburg, am ConSpect Münster, bei Gerda in Wien (sie organisiert auch Lesungen an anderen Orten in Wien wie der SFU) und manchmal auch auf Fachtagungen und Verbandstagungen. Oder wie derzeit auch auf ZOOM.

Angela: Ich frag einfach noch mal nach Deiner Absicht oder Motivation solche, wie du es nennst, „nicht-fachlichen Fachbücher“ zu schreiben.

Jürgen: Um diese Frage zu beantworten, müsste ich mich wirklich gut kennen, doch so gut kenne ich mich nicht. Und was die Motivation angeht, weiß ich es nicht oder nicht mehr. Wenn ich dazu jetzt etwas sagen würde, wäre das eine hoffentlich wunderbare Geschichte, von der ich selber nicht wüsste, ob sie stimmt oder zutrifft.

Angela: Wie absichtslos ist denn dieses ganze Schreiben?

Jürgen: Ich kann es nur machen, wenn es mir Freude bringt und nicht so sehr nach Arbeit ausschaut. Die Reaktion vieler Zuhörer und Zuhörerinnen, also der Fachpersonen, haben mich erst darauf aufmerksam gemacht, dass viele meiner Geschichten durchaus als „etwas andere Fachbücher oder –geschichten“ gelten können. Das hat mich ermuntert, weiter in diese Richtung zu gehen.

Angela: Also steckt doch eine Absicht dahinter?

Jürgen: Aber klar doch. Nur bin ich mir selber nicht sicher, welche. Eines hoffe ich, dass nämlich zunehmend Nicht-Fachleute oder Menschen, die sich therapeutische Hilfe geholt haben, einmal darin lesen. Ich möchte nämlich nicht einfach diese großartigen Geschichten schreiben, die oft mit Psychotherapie verbunden werden – harte Kämpfe, Rückschau in die Vergangenheit, Eingestehen eigener Fehler, Eintauchen in unangenehme Gefühle und was es da alles zu geben scheint. Ich möchte das alles ein wenig normalisieren. Ich finde, es ist relativ normal, Probleme zu haben, Unterstützung zu finden und sich klar oder klarer zu werden, was man oder frau erreichen möchte. Und im Alltag finden sich unglaublich viele Heldinnen-Geschichten. Nur sind sich viele Menschen überhaupt nicht bewusst, welche Heldentaten sie vollbracht haben. Denn Heldentaten gelten meist als etwas Besonderes, Großartiges, Herausragendes. Und die vielen alltäglichen Kleinigkeiten im Leben, die gemeistert werden, bleiben unerkannt. Tja, du merkst, ich neige immer wieder zum Missionieren.

Danke für das Gespräch! Gerne können Sie das neue Buch „Möglichkeiten … und mehr“ von Jürgen Hargens für CHF 17.90 + Porto bestellen.

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