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Paul Watzlawick – Person, Leben und Werk

Andrea Köhler-Ludescher & Stefan Geyerhofer (SG)

Watzlawick hielt den Menschen oft einen Spiegel vor, sodass sie über ihr tragisch anmutendes Alltagsleben auch lachen konnten. Er tat das, ohne belehrend zu wirken; denn auch über sich selbst konnte der Geschichtenerzähler gut lachen, was ihn für sein Publikum sympathisch machte.

Prolog

Neben seinem Humor und Mut zeichnete Paul Watzlawick auch eine sehr grosse Reserviertheit aus, die von manchen als #Unnahbarkeit interpretiert wurde. Seinem grossen Interesse für Menschen stand eine klare Trennung von Privat und Beruf gegenüber, die mit steigender Popularität auch ein wichtiger Schutz seines Privatlebens wurde. So kommt es, dass viele Menschen sein Werk bestens kennen, aber seine Person kaum. Ich selbst (SG) kenne nur zwei Handvoll Kolleg:innen, die seine private Telefonnummer hatten. Und Fritz Simon sagte einmal, darauf angesprochen: „Ich glaube, er hat sie mir nur gegeben, weil er wusste, ich würde ihn nie anrufen!“

Was Paul Watzlawick auch auszeichnet, war sein ganz besonderer Humor. Manche liebten ihn, manche hassten ihn, er selbst kultivierte ihn. „Kühl und ein bisschen sarkastisch“ meinte Fritz Simon einmal – in Österreich geprägt und für Österreich zugeschnitten könnte man auch sagen. Sein Buch #Anleitung zum Unglücklichsein (Watzlawick, 1983) verkaufte sich nirgendwo so gut wie im deutschsprachigen Raum, wo es sogar Vorlage für eine Dokumentation und für einen Spielfilm wurde. In den USA floppte das Buch. Warum sollte sich jemand ein Selbsthilfebuch zu seinem eigenen Unglück anschaffen?

Und der Vielschreiber verfügte schliesslich über eine grosse Fähigkeit, die darin bestand, Komplexes so einfach darzustellen, dass jedermann es gut verstehen konnte. Er packte anspruchsvolle wissenschaftliche und philosophische Erkenntnisse humorvoll in bild- hafte Geschichten, die man sich gut merken konnte – wie die Geschichte vom Hammer des Nachbarn oder jene vom Glas Wasser, das halbvoll bzw. halbleer ist. Denn lassen Sie uns ehrlich sein: Welche Systemikerin, welcher Systemiker hat #Bateson wirklich gelesen – und auch verstanden? Keine Angst, Sie sind nicht alleine! Auch zu Batesons Lebzeiten berichteten zahlreiche Student:innen, dass sie nach seinen Vorlesungen das starke Gefühl hatten, gerade etwas ganz Wichtiges und Faszinierendes erlebt, aber davon kein Wort verstanden zu haben! Paul Watzlawick hat uns Gregory Batesons Ideen (Bateson, 1972, 1980) „übersetzt“ und mit konkreten, schmackhaften Beispielen veranschaulicht.

Familienwurzeln, Kindheit und Jugend in Wien und Kärnten

Paul Watzlawicks Eltern haben unterschiedliche Charaktere. Seine Mutter ist sprachbegabt, kreativ, lebenslustig und positiv eingestellt. Sein Vater hingegen ist ernst, diszipliniert und arbeitet mit Hingabe. Diese beiden Einflüsse prägen Paul sein ganzes Leben lang und erzeugen Spannungen auf seinem Weg.

Pauls Kindheit ist von vielen Veränderungen geprägt. Aufgrund des Berufs seines Vaters zieht die Familie von Villach nach Wien und etabliert sich in der gehobenen Gesellschaft. Doch die wirtschaftliche Krise führt zur Schliessung der Bankfiliale seines Vaters, und die Familie muss in die Provinz zurückkehren. Schließlich kauft Pauls Vater eine Autobuslinie, aber aufgrund von Einschränkungen im Zusammenhang mit der deutschen 1000-Mark-Sperre und dem Einbruch des Tourismus in Kärnten muss er das Unternehmen verkaufen.

In diesen turbulenten Zeiten lernt Paul früh, was es bedeutet, mit Schicksalsschlägen umzugehen, und wie unterschiedlich Menschen darauf reagieren. Sein Vater zerbricht letztendlich am beruflichen Misserfolg und stirbt im Alter von 55 Jahren an Tuberkulose, während seine Mutter Emy die Familie zusammenhält und mit ihrer positiven und kreativen Lebenskraft eine wichtige Stütze für Paul wird. Diese Erfahrungen prägen seine Zuverlässigkeit und Bescheidenheit.

Kriegszeit in Europa

Während des Zweiten Weltkriegs dient Paul Watzlawick als Soldat. Als Wehrmachtsdolmetscher entwickelt er Sympathien für gefangene alliierte Soldaten. Er entwickelt eine neue „Außensicht“ und Sympathien für die jungen Männer, fängt an, unvollständig zu übersetzen – zum Vorteil des „Feindes“ und „zum Nachteil des deutschen Volkes“. Bis die Gestapo ihn verhaftet und wegen „staatsfeindlicher Betätigung, Zersetzung der Wehrmacht sowie Verstöße gegen das Heimtückegesetz (frecher Hohn gegen den Führer)“ einsperrt. Wochenlang bangt Paul Watzlawick im Untersuchungsgefängnis um sein Leben. Für uns Systemische Therapeut:iinnen ist rückblickend interessant, dass er bereits damals in den Verhören der Gefangenen das Spiel mit der Sprache und die damit verbundene Konstruktion von scheinbaren Wirklichkeiten zum Wohle der anderen zu nutzen versuchte – ganz ähnlich wie in seinem späteren Beruf als Psychotherapeut.

Studium in Italien und der Schweiz

Nach dem Krieg findet Paul langsam Normalität. Er arbeitet als Dolmetscher in Italien und studiert nebenbei Philosophie und moderne Sprachen in Venedig. Durch einen Zufall entdeckt er das C.G. Jung-Institut in Zürich und beginnt dort seine Ausbildung in Therapie.

Berufsanfänge in Indien und San Salvador

Nach Abschluss seiner Ausbildung in Zürich wagt Watzlawick wieder etwas Neues: Der 33-jährige Junganalytiker besteigt ein Schiff, um in Bombay seine Berufslaufbahn zu starten. Hier im Land des Erwachten wird ein weiterer Samen für seinen späteren Richtungswechsel in Kalifornien – der systemischen Psychotherapie und dem Konstruktivismus – gesät, denn er kommt mit Jiddhu Krishnamurti in Kontakt – einem seiner zwei spirituellen Lehrer. Aber sein Berufsstart in Indien wird ein Flop und der Suchende reist zurück nach Europa. Er besucht Vorlesungen in Wien, arbeitet in München und untersucht eine Fernheilung in Ligurien. Schließlich übernimmt er einen Lehrstuhl in San Salvador und unterrichtet dort drei Jahre lang Psychodynamik nach Freud.

Karriere in Kalifornien

Die nächste Etappe in Watzlawicks Leben ist sein beruflicher Wendepunkt in Kalifornien, wohin er auf Zwischenstation auf dem Weg zurück nach Europa – über Philadelphia und aus San Salvador – kommt. Don D. Jackson, Virginia Satir, Jay Haley und Jules Riskin hatten das #Mental Research Institute in Palo Alto gegründet und hatten gemeinsam mit John Weakland und unter Supervision von Milton Erikson begonnen, ihren Ansatz zur Systemischen Familientherapie zu entwickeln, als Paul Watzlawick sich ihnen anschließt. Am MRI in Palo Alto erarbeitet er sich in einem völlig neuen Umfeld sein künftig richtungsgebendes wissenschaftliches Fundament, das von vier Mentoren geprägt wird: von den Psychiatern Don D. Jackson und Milton Erickson, genialen Praktikern, wie Paul sie bezeichnet, und vom Anthropologen Gregory Bateson, einem wegweisenden Theoretiker, sowie dem aus Wien stammenden Biophysiker #Heinz von Foerster. Es gibt „gestörte“ Beziehungen, aber nicht „gestörte“ Individuen, lernt Paul Watzlawick hier – eine neue Denkweise für den gelernten Analytiker. 1967 erscheint das Buch „Menschliche Kommunikation“, in dem Watzlawick, Beavin und Jackson die fünf Kommunikations-Axiome definieren. Das Mental Research Institut wird mittlerweile zum beobachteten Zentrum der Psychotherapieentwicklung und zum Anziehungspunkt für interessierte Kolleginnen. Sie werden von der damals vorherrschenden analytischen Psychotherapeut:innen-Szene stark angefeindet und ihre Methoden als oberflächlich und manipulativ beschimpft. Pauls Antworten auf diese Vorwürfe in der Öffentlichkeit waren oft genauso provokant wie die damals neue Denk- und Arbeitsweise: „Aber natürlich manipuliere ich meine Klient:innen. Sie mich aber genauso! Denn Kommunikation ist immer auch Beeinflussung, und zwar wechselseitig. Wir können nicht miteinander kommunizieren ohne uns auch zu beeinflussen. Und wenn wir es nicht verhindern können, sollten wir es wenigstens so gut wie möglich machen – zum Wohle und für die Anliegen unserer Klient:innen“.

1974 erscheint das nächste bahnbrechende Buch, diesmal auf dem Gebiet der systemischen Familientherapie: #Change bzw. Lösungen. In ihm skizzieren Watzlawick, Fisch und Weakland die grundlegenden Ideen eines problemorientierten systemischen Therapieansatzes. Die Art und Weise, wie Watzlawick und Kolleginnen am MRI Probleme sehen, ist völlig neu: Sie fokussieren nicht auf mögliche Ursachen in der Vergangenheit, sondern untersuchen die Aufrechterhaltung des konkreten Problems der Patientinnen im „Hier und Jetzt“, versuchen bereits in den ersten Stunden zu einem Therapieziel zu kommen und entwickeln Ideen, die Klient:innen helfen sollen, jene Muster familiärer Beziehungen zu unterbrechen, die das Problem aufrechterhalten. Dabei verstehen sie Probleme als oftmalige Lösungsversuche, postulieren sogar, „die Lösung selbst sei das Problem“ und entwickeln mit der Zeit unkonventionelle, systemische Interventionen, wie die „Symptomverschreibung“, „die schlimmste Phantasie“, „therapeutische Doppelbindungen“ oder „Umdeutungen“.

In den 1970er und 1980er Jahren wird das MRI nun auch zum internationalen Zentrum der Systemischen Therapie. Mony Elkaim, Mara Selvini Palazzoli, Cloe Madanes, Wendel Ray, Insoo Kim Berg, Fritz Simon, Giorgio Nardone, Gianfranco Cecchin, Teresa Garcia, Jean Jacques Wittezaele usw. besuchen das MRI für einige Monate bis zu einem Jahr, bringen die Arbeiten der Gruppe nach Europa oder an andere Plätze, entwickeln die Ideen weiter und bleiben in Kontakt.

1976 erscheint sein drittes wegweisendes Buch #Wie wirklich ist die Wirklichkeit?, welches Watzlawicks drittes Forschungsgebiet behandelt, den „Konstruktivismus“. Das Werk wird zu einem Standardwerk konstruktivistischer Erkenntnistheorie werden, die besagt: Die Wirklichkeit ist das Ergebnis von Kommunikation, und nicht die Kommunikation das Ergebnis der Wirklichkeit. Denn Watzlawick unterscheidet die Wirklichkeit erster Ordnung von der Wirklichkeit zweiter Ordnung. Erstere bezeichnet weitgehend objektiv feststellbare Eigenschaften von Dingen, während die Wirklichkeit zweiter Ordnung rein subjektive Zuschreibungen von Wert und Sinn an die Dinge beschreibt und daher auf Kommunikation beruht. Als Beispiel nennt er das „Gold“: Die physikalischen Eigenschaften des gelben Edelmetalles sind bekannt und jederzeit verifizierbar. Der Wert jedoch, der dem Gold zugeschrieben wird, kann sich je nach Goldkurs von Tag zu Tag ändern – und diese zweite Wirklichkeit des Goldes lässt einen Menschen zum Krösus oder Bankrotteur werden. Für wen ist dieser Unterschied nicht von massgeblicher Relevanz? „Von der Wirklichkeit (2. Ordnung) können wir nur wissen, was sie nicht ist“, meint der Philosoph Watzlawick und bringt das von Glasersfeld’sche Beispiel einer gefährlichen nächtlichen Bootsfahrt.

Internationales Wirken

Die Jahre des Höhepunkts von Watzlawicks Bekanntheit starten in den 1980ern. Diese Phase seines Lebens ist geprägt von der Verbreitung seiner Ideen durch seine vielen Reisen und dem Verfassen seiner Populärbücher. „Die Anleitung zum Unglücklichsein” (Watzlawick, 1983) wird ein Bestseller und Paul Watzlawick zum weltweit gefragten Vortragenden.

Auch die Verbreitung systemischer Therapieansätze in Europa wird von Pauls Reisetätigkeit mitbestimmt. Er supervidiert die #Mailänder Gruppe (Selvini-Palazzoli, Cecchin, Boscolo, Prata), welche die Arbeiten der Palo Alto Gruppe weiterentwickeln, trifft sich immer wieder mit seinem Freund Fritz Simon und dessen Kollegen am Heidelberger Institut, ist in Belgien und Frankreich tätig, gründet mit Giorgio Nardone das Zentrum für Strategische Kurztherapie in Arezzo und ist immer wieder zu Gast in Österreich, seiner alten Heimat.

Der Sinn des Lebens ist das Leben selbst

Am 31. März 2007 stirbt Paul Watzlawick im Alter von 85 Jahren kinderlos in Palo Alto. Was von Paul Watzlawick bleibt, sind seine bahnbrechenden Arbeiten auf den Gebieten der Kommunikationstheorie und der Erkenntnistheorie und seine unbeschreibliche Gabe, komplexe Zusammenhänge bildhaft, einfach und klar darzustellen. Er hat uns die Grundlagen der Systemtheorie und damit die Basis Systemischer Therapie in eine einfache Sprache übersetzt und sie damit Menschen auch abseits der Wissenschaft und Philosophie zugängig gemacht.

Die Kritik, er hätte nichts davon selbst entwickelt, sondern nur Bateson in einfacheren Worten wiedergegeben, ist vielleicht berechtigt, aber nicht ganz nachvollziehbar. Wir schliessen uns da Fritz Simon an, der im Epilog zur Biografie über Watzlawick schreibt, das wäre so, als würde man einem Koch vorwerfen, er hätte die Zutaten nicht selbst angebaut. Das mag stimmen, aber er hat uns dafür ein ästhetisch befriedigendes und gut verdaubares Menü bereitet.

Viele der von ihm mitentwickelten therapeutischen Methoden werden täglich in therapeutischen Behandlungen angewandt und von Kolleg:innen weltweit weiterentwickelt:

  • Reframing-Techniken
  • Als-Ob-Interventionen
  • 180-Grad-Interventionen
  • Zielorientierte Fragen, wie die Erste-Zeichen-Frage oder die Wunderfrage

Mit seiner Integration von problemorientierten, lösungsorientierten und Hypnotherapeutischen Ansätzen war er seiner Zeit voraus. Heute ist die Integration dieser Ansätze „state of the art“ in der Systemischen Therapie. Oder, wie Fritz Simon in seinem Nachruf schrieb: „Ohne Paul Watzlawick wäre die systemische Szene weltweit heute weniger lebendig, vielleicht gäbe es sie gar nicht.“

Paul ist vielen als Mann in seinen beiden Strickwesten, einer blauen und einer grauen, in Erinnerung geblieben, die er über viele Jahre hinweg abwechselnd getragen hat, egal ob am MRI in Palo Alto oder auf Reisen nach Wien. Auch sein alter VW Golf auf dem Parkplatz hinter dem Institut in Palo Alto ist unvergessen.

BIBLIOGRAPHIE:

  • Bateson, G.: Steps to an ecology of mind. New York: Ballantine Books, 1972.
  • Bateson, G.: Mind and nature: A necessary unit. New York: Ballantine Books, 1980.
  • Bateson, G., Jackson, D., Haley, J., & Weakland, J. H.: Toward a theory of schizophrenia. Behavior Science,1, 251–264, 1956.
  • Köhler-Ludescher, A.: Paul Watzlawick – die Biografie: Die Entdeckung des gegenwärtigen Augenblicks. Hans Huber, Bern, 2014.
  • Watzlawick, P., Beavin, J. & Jackson, D. D.: Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien. Hans Huber, Bern, 1967.
  • Watzlawick, P., Weakland, J. H., Fisch, R.: Change: Principles of Problem Formation and Problem Resolution. New York; Norton, 1974. Deutsch: Lösungen: Zur Theorie und Praxis menschlichen Wandels. Hans Huber, Bern, 1992.
  • Watzlawick, P.: Wie wirklich ist die Wirklichkeit. Wahn, Täuschung, Verstehen. Piper, München, 1976.
  • Watzlawick, P.: Anleitung zum Unglücklichsein. Piper, München, 1983.

Originalartikel

Andrea Köhler-Ludescher und Stefan Geyerhofer haben zum 10. jährigen Todestag diesen höchst spannenden Artikel über die Person, das Leben, das Werk von Paul Watzlawick geschrieben. Obwohl der Artikel schon mehrfach erschienen ist, wollten wir euch diesen nicht vorenthalten und veröffentlichen hier gerne eine Zusammenfassung. Den gesamten Artikel findet sich hier: Geyerhofer, S. & Köhler-Ludescher, A. (2017) Paul Watzlawick – Person, Leben und Werk. Systemische Notizen 03/17, Seite 4 – 13. Auch erschienen in SYSTEME 31 (2) und in: Geyerhofer, S. (2022) Von den Mitteln und den Zwecken systemischer Therapie – Gesammelte Texte. Carl Auer Verlag. Danke, dass wir diese Zusammenfassung veröffentlichen dürfen!

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