Interview mit Gunther Schmidt
Du bezeichnest in einem Interview von 2016 in der Psychologie heute Burnout als Kompetenz. Wie kann eine Krankheit eine Kompetenz sein? Das ist dann doch sehr provokativ.
GUNTHER SCHMIDT Natürlich könnte man suggerieren, dass ich die Erschöpfung und das Leiden der betroffenen Personen nicht ernst nehme. Aber tatsächlich möchte ich die Personen würdigen. Burnout-Klient:innen werten sich nämlich selbst massiv ab. Wer an einem Burnout erkrankt, fühlt sich vollkommen erschöpft, alles ist zu viel, man sieht den Sinn nicht mehr und erlebt gleichzeitig den enormen inneren Druck, etwas ändern zu müssen. Die Erschöpfung, Antriebslosigkeit ist aber auch ein hilfreiches Signal vom Organismus. Es ist eine wertvolle, sehr kompetente Rückmeldung, die signalisiert, dass man was ändern muss und so nicht weitermachen kann. Es ist ein hilfreiches Warnsignal, das uns zeigt, dass wir jetzt etwas für unsere Gesundheit tun und eine Balance finden müssen.
Was schützt gegen ein Burnout?
GUNTHER SCHMIDT Wichtig ist die innere Einstellung. Gut geschützt ist, wer mit einer solchen Arbeitseinstellung rangeht; ich tue, was ich kann, und was ich heute nicht schaffe, erledige ich morgen.
Auch deshalb spreche ich von Burnout als Kompetenz. Es ist doch etwas Positives, wenn Menschen nicht nur an ihren eigenen Vorteil denken, sondern auch Verantwortung für andere und für höhere Ziele übernehmen. Gebende Beziehungen sind extrem wichtig sind für eine funktionierende Gesellschaft und das persönliche Wohlergehen. Entscheidend ist, wieder in Balance zu kommen.
Du leistest die Systelios Klinik und das Milton Erikson-Institut, bist ein gefragter Vortragsredner, viel unterwegs und hast sicher keinen 8-Stunden-Tag. Du bist am wilob Dozent und wertvolles Beiratsmitglied. Wie sieht deine persönliche Burnout-Prophylaxe aus?
GUNTHER SCHMIDT Ich habe oft 13-Stunden Tage und nicht immer eine 5-Tage-Woche. Aber es kommt nicht auf die Quantität an. Für mich ist entscheidend, dass ich meine Arbeit als sinnvoll erlebe. Ich bin als Selbstständiger in der privilegierten Situation, nur das zu machen, wofür ich mich autonom entschieden habe. Ich kann unmöglich allen und allem gerecht werden. Deshalb führe ich innere Dialoge mit mir und wende dabei natürlich meine eigenen Konzepte an. Eins nenne ich Meta- Balance. Das heißt, ich bin in Balance, akzeptiere mich aber auch, wenn ich mal wieder ins Schleudern komme. Und ich praktiziere Meta-Zufriedenheit, das heißt, ich bin ganz zufrieden damit, dass ich nicht ganz zufrieden bin, denn ich kann machen, was ich will, irgendwem werde ich immer nicht gerecht, selbst wenn mein Tag 70 Stunden hätte. Ich tue nach bestem Wissen und Gewissen, was mir möglich ist, erkenne meine Endlichkeit an und sage, mehr geht jetzt nicht. Wenn mein Organismus sagt, jetzt reicht es, sonst kriegst du die Konventionalstrafe, zum Beispiel Kopfschmerz, dann sage ich: Danke lieber Organismus, und dann muss ich damit leben, dass ich etwas nicht schaffe, was es auch wert gewesen wäre. Mein Kriterium für relative Zufriedenheit ist nicht Erfolg, sondern die Frage, ob das, was ich tue sinnvoll ist. Selbst wenn etwas nicht klappt, würdige ich mich dafür, dass ich es überhaupt versucht habe, und tröste mich. Meistens gelingt mir das, manchmal drehe ich auch eine Hader-Ehrenrunde.
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Gunther Schmidt, Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Ärztlicher Direktor der SysTelios- Privatklinik für psychosomatische Gesundheitsentwicklung, Leiter des Milton-Erickson-Instituts Heidelberg. Lehrtherapeut des Helm Stierlin Instituts für systemische Therapie/ Beratung, Ausbilder u. langjähriger 2. Vorsitzender der Milton Erickson-Gesellschaft (MEG), Mitbegründer und Senior Coach des Deutschen Bundesverbands Coaching (DBVC). Dr. Schmidt gilt als einer der massgeblichen Pioniere in der Entwicklung einer Integration systemischer Modelle und der kompetenzfokussierenden Konzepte Erickson‘scher Hypnotherapie zu einem ganzheitlich-lösungsfokussierenden Konzept für Beratung und Psychotherapie.
Literatur
- Gunther Schmidt: Liebesaffären zwischen Problem und Lösung. Hypnosystemisches Arbeiten in schwierigen Kontexten. Carl Auer, 6. Aufl. 2015
- Einführung in die hypnosystemische Therapie und Beratung, Carl Auer, 7. Aufl. 2015