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Was, wenn die Kundin sich nicht für kundig hält?

Überlegungen von Jürgen Hargens

Was, wenn die Kundin sich nicht für kundig hält? Nun – zunächst einmal bliebe zu klären, wer denn imstande sein kann, festzustellen, ob die Kundin kundig ist oder nicht. Ich als Vertreter der Fachwelt, die Kundin selber oder noch jemand oder etwas anderer? Nach meinem Verständnis stellt Kundigkeit eben keine Wahrheit dar, sondern ist das, was gemeinhin als Auffassungssache gilt. Anders gesagt – Kundigkeit wird angenommen, unterstellt, zugeschoben und dann wird der Person dieses Etikett gleichsam «aufgepappt». Auch die mögliche Feststellung der Kundin, dass sie nicht kundig sei, wäre nach meinem Verständnis Ausdruck ihrer Kundigkeit!

Kundigkeit bezieht sich nach meiner Auffassung darauf, dass die Kundin am besten weiß, was sie selber betrifft – auch dann, wenn sie es derzeit noch nicht zu formulieren weiß. In diesem Sinne begreife ich Kundigkeit als eine Haltung, die ich als VertreterIn der Fachwelt verwirkliche, auch im Sinne einer selbst erfüllenden Prophezeiung. So gesehen, bestimmt meine Haltung (die KundIn ist kundig) meine Art, wie ich die (beraterisch-therapeutische) Beziehung begreife und realisiere. Für mich ist Kundigkeit eben nicht zu verwechseln mit der Idee, «alles zu können». Der klassische Satz «ich weiß, dass ich nichts weiß» wäre sonst auch nicht Ausdruck von philosophischer Weisheit oder Kundigkeit. Es könnte ähnlich gesehen werden wie Talent – auch ein Talent bedeutet nicht, dass ich das, wozu ich «talentiert bin», kann, beherrsche, ausübe, sondern es bedeutet, dass ich gute Voraussetzungen mitbringe, in dem Bereich, in dem ich talentiert bin, etwas erreichen zu können, vorausgesetzt ich nutze mein Talent.

Kundigkeit stellt daher zunächst nichts anderes dar, als einen Begriff, ein Wort, der auf ein Etikett, ein Label, verweist, das ich – VertreterIn der Fachwelt – der Kundin zuschiebe und zwar unabhängig davon, was die Kundin macht. Dieses Etikett bietet vielmehr mir einen Rahmen und einen Kontext, in dem ich Verhaltensweisen als Ausdruck von Kompetenz, Stärken und Fähigkeiten bewerten (interpunktieren) kann.

So gesehen, stellt Kundigkeit für mich eine Möglichkeit dar, der Kundin gegenüber meinen Respekt für ihre Art, ihr Leben zu leben, auszudrücken und zwar unabhängig davon, was sie tut – denn ich respektiere ihre Kundigkeit, was nicht damit zu verwechseln ist, das, was sie tut, zu akzeptieren.

Jürgen Hargens, Diplom-Psychologe, Psychotherapeut, Klinischer Psychologe und Supervisor BDP, Familientherapeut/systemischer Therapeut und systemischer Supervisor DFS. Freie Praxis 1979 bis 2015. 1983 Gründer und bis 1992 Herausgeber der Zeitschrift für systemische Therapie. Langjährige Mitarbeit bei verschiedenen Zeitschriften: CONTEXT, Contemporary Family Therapy, Psychotherapie FORUM, Foreign Correspondent des ANZJ for Family Therapy. 1990 bis 1996 Lehrbeauftragter an der Universität Kiel.

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